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Dienstag, März 15, 2005

Amazing Spider-Man: Sins Past TPB (Philos)

Written by J. Michael Straczynski; Pencils by Mike Deodato Jr. and Inks by Joe Pimentel (Marvel).

Ich mag Spidey-Geschichten, die einem ein Gefühl von Nostalgie vermitteln. Straczynski tut gut daran, in Peters Vergangenheit zu wühlen. Mit Alte Sünden liefert J. Michael Stracynzski ein emotional starkes Skript, das sich auf die menschliche Seite der Protagonisten konzentriert, statt auf bunte Kostüme und besondere Fähigkeiten. Alte Geschichten aufzugreifen und Spuren an Spideys Origin zu hinterlassen, ist nicht nur mutig, weil Fanboys vergrault werden könnten, sondern auch deshalb, weil viel Kenntnis und Fingerspitzengefühl dem Autor abverlangt wird. Dafür winkt die süße Verheißung sich im Spider-Man Universum unsterblich zu machen.

Mary Jane möchte die oberflächliche Welt des Modelns zurücklassen und fokussiert ihren Blick auf die Bühne, die die Welt bedeutet. Auch wenn der Auftakt im Theater miserabel und lieblos, die Besserungs Mary Janes Schauspieltalents hahnebüchen ist, gelingt es Straczynski ihren Charakter neu auszurichten. (Nebenbei: Der Vergleich mit Fred Astaire hätte in der Aufforderung des Regisseurs münden müssen, zu spielen, statt es nur zu versuchen.)

Mary Jane hat unter JMS eine enorme Aufwertung erfahren. Einerseits emanzipiert sie sich durch ihre Rolle beim Theater, zum anderen bildet sie den stabilen Fixpunkt im Leben Peters - das Rollenklischee auf den Kopf gestellt! Peter hat einige weibliche Züge und ist emotional schnell aufgewühlt, so dass diese umgekehrte Rollenverteilung ihn noch sympathischer und interessanter werden lassen. Gleichzeitig zeigt die Ehe aus Mary Janes Perspektive die Einsamkeit und Ungewissheit, in der sie lebt. Bildlich zum Ausdruck gebracht in der Szene, in der Peter vorzieht an der Decke zu kleben, statt in ihr gemeinsames Bett zu kriechen. Ich hoffe nur nicht, dass dieses komplexe Geflecht in einem der zukünftigen Arcs zugunsten eines dämlichen Ehestreits ausgebeutet wird.

Wenn jemand stirbt, nimmt er bekanntlich seine Geheimnisse mit ins Grab. Rührt daher nicht auch die Behauptung, auf dem Sterbebett bereut man nicht, was geschehen, sondern was nicht geschehen ist? Vielleicht geht die späte Abkehr von der Unschuld mit der Gewissheit einher, nicht man selbst, sondern die Überlebenden müssen mit dem eigenen Tod umzugehen wissen. Wie Trauerarbeit aussehen kann, zeigt dieses Trade auf eindrucksvolle Weise.

Der Leser wird in diesem Band ernst genommen. Wenn die Abkömmlinge von Gwen Stacy einen Rachefeldzug gegen ihren vermeintlichen Dad Peter Parker führen, erfreut sich das Leserherz an Peters Erkenntnis, dass Gwens Kinder Gabe und Sarah nicht auf gewöhnlichem Wege so schnell erwachsen geworden sein können. Die Annahme jemanden sitzengelassen zu haben, erklärt wohl nur dann Mordsucht, wenn ein nicht unbeträchtlicher Anteil osborne'schen Wahnsinns durch die eigenen Adern fließt.

Im Gegensatz zu Mark Millars Marvel Knights: Spider-Man wirken die eingeworfenen Action-Szenen bei JMS nicht erzwungen. Ihn zeichnet aus, dass er zum Punkt kommen kann, ohne die Spannung unnötig in die Länge zu ziehen. Bei Stracynzski sind diese auflockernden Szenen zugleich Transporter wichtiger Informationen.

Ich liebe Mike Deodatos Jr. erdiges, präzises und realistisches Artwork. Ein wenig erinnert es mich an Stuart Immonen. Sein gerenderter Stil erweckt die Charaktere zum Leben und schöpft Details in ihren Bewegungen und Gesichtsausdrücken. Besonders gut gefallen mir die nostalgischen Flashbacks und die leuchtenden großen Spidey-Augen. Dem steht nicht entgegen, dass sein Stil fast schon photorealistisch ist. Seine Action-Darstellungen fallen dagegen leicht ab, nicht zuletzt weil er hulkartige Splash-Panels zeichnet. In jedem Fall gelingt ihm eine Melodramatik zu erzeugen, die sehr gut zum aktuellen Arc passt. Absoluter Leckerbissen ist Mary Jane, die Deodato sowohl verletztlich als auch stark zu zeichnen vermag.

J. Michael Straczynski gelingt ein frischer Zugang zur Serie gegenüber den eher irritierenden Mystik-Plots des bisherigen Runs.

8/10