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Sonntag, April 24, 2005

Fallen Angel TPB 1

Written by Peter David, pencils by David Lopez (DC). Deutsch: Keine Veröffentlichung.

Streng theologisch sind die "Gefallenen Engel", jene Engel, die sich unter der Führung von Luzifer gegen Gott aufgelehnt haben und demzufolge aus dem Himmelreich verbannt wurden. Was hat das jedoch mit dieser Serie zu tun? Der Autor gibt zumindest in den ersten sechs Ausgaben (TPB 1) keine eindeutige Antwort darauf, aber doch Hinweise.

Der "Fallen Angel" ist eine mysteriöse Frau im purpurnen Umhang, die in Bete Noire - eine fiktive Stadt, die stark an New Orleans erinnert - den Menschen in Not hilft, oder auch nicht. Ich weiss, dass klingt eigenartig, aber genau das ist dieser Comic: eigenartig. Die Hauptfigur ist weder Heldin noch Antiheldin. Sie verrichtet ihre Heldentaten pflichtbewusst und entschlossen aber auch mechanisch und lustlos, ungefähr so wie normale Menschen ihre Steuererklärung ausfüllen. Sie wacht nicht über der Stadt und lauert den Verbrechern auf, nein, sie setzt sich ihrer Stammkneipe an ihren Stammtisch und trinkt gemütlich ein Bier. Leute, die glauben ihre Hilfe verdient zu haben, setzen sich zu ihr und erläutern ihr Problem. Falls dann unser gefallener Engel den Fall annimmt, macht sie sich auch gleich an die Arbeit. Doch die Serie dreht sich nicht nur um ihre Taten, sondern unter anderem auch um das Geheimnis von Bete Noir. Es ist keine gewöhnliche Stadt. Dieser Ort ist ausserordentlich wichtig für die gesamte Welt, doch weshalb das so ist, wird (noch) nicht aufgeklärt.

Fallen Angel ist eine Dualitätsstudie, voll mit religiöser Mystik. David fordert den Leser mit dem Spiel von Schein und Sein. Zunächst stellt er diese Geschichte als eine konventionelle Konfrontation zwischen Gut und Böse dar. Doch schon bald wird dem Leser bewusst, dass es nicht so einfach ist. Es geht nicht um den "ältesten" Kampf, es geht nicht um Schwarz und Weiss, es geht um Gleichgewicht; die Hauptfigur ist nicht nur gut, nicht nur nobel und nicht sympathisch, ihr Gegenspieler ist nicht böse, nicht hinterhältig und ausserordentlich charmant. Zwar bekämpfen sie sich, aber nach einer anstrengenden Nacht der Aktion und Reaktion trifft man sich zuweilen schon mal zu einem abschliessenden Schäferstündchen. Sie tun was sie tun, weil sie es müssen, nicht weil sie es wollen. Haben die Hauptfiguren einen freien Willen? Eine berechtigte Frage, denn wer sich etwas mit religiöser Mythologie auskennt, weiss, dass angeblich Engel weder einen freien Willen noch eine Seele haben. Doch der Leser wird im Dunkeln gelassen, ein weiteres Hauptmerkmal dieser Serie. Peter David deutet vieles an, aber beantwortet wenig bis nichts.

Obwohl ich kein grosser Fan religiöser Mystik bin, muss ich gestehen, dass das Konzept Lust auf mehr macht. Fallen Angel war die erste Serie seit langem, der es gelang, mich zu irritieren. Davids Figuren stellen bekannte Werte auf den Kopf und bringen den Leser dazu, sich mit Fragen auseinanderzusetzen, die untypisch für einen Superhelden-Comic sind. Ist ein Wesen, das keine andere Wahl hat als den Bedürftigen zu helfen, ein Held? Muss man noble Absichten haben, um als Held zu gelten oder reichen die Taten als solche? Man merkt, dass es ein Anliegen des Autors war, zu zeigen, dass die Welt von Fallen Angel, genau wie die reale Welt, nicht in Schwarz und Weiss unterteilt werden kann. Es sind die Grautöne die vorherrschen und in einer solchen Welt passen traditionenelle Heldenkonzepte, wie wir sie aus anderen Comics kennen, nicht rein. Für Leute, die genug haben von unfehlbaren Lichtgestalten als auch von abgrundtief bösen Superschurken, wird Fallen Angel wie ein Schluck Wasser in der Wüste sein.

David Lopez’ Zeichnungen sind ein wahrer Genuss. Sie unterstreichen die unheimliche Stimmung der Geschichte. David möchte mit allen Mitteln eine mysteriöse Atmosphäre schaffen und es gelingt ihm auch weitgehend, aber teilweise verkrampft er sich in seinen Bemühungen und so wirken einige Nebencharaktere überkonstruiert, wie z.B. "der Barkeeper". Das tut jedoch der Geschichte kaum Abbruch, sodass man sich mit gutem Gewissen auf ein aussergewöhnliches Comic-Abenteuer einlassen kann.

8/10
Lamond