Wir sind Philos, Lamond und Seppstock. Hier findet ihr farbenfrohe Bilder, kleine Sprechblasen und unsere Meinung dazu.

Sonntag, Mai 29, 2005

Usagi Yojimbo

GASTREZENSION VON SEPPSTOCK. SEHR VIELEN DANK!

Written and art by Stan Sakai. Deutsch: Usagi Yojimbo (Schwarzer Turm).


Als ich das erste Mal eine Zeichnung von Miyamoto Usagi gesehen habe, dachte ich: "Was zur Hölle soll denn das sein? Ein Hase als Samurai? Und dann auch noch in einer Art Funny-Stil gezeichnet. Seltsam..."
Aber obwohl ich mich zuerst nicht mehr weiter darum kümmerte, ließ mich dieses Bild einfach nicht mehr los.
Meine vorhandene Begeisterung für die Samurai-Thematik tat ihr Übriges und nach einigen Jahren der Unentschlossenheit griff ich dann doch einmal zu einem Band von Usagi Yojimbo (zu Deutsch: "Leibwächter Hase").
Was ich fand waren Geschichten voller Humor, Tragik, Philosophie, Freundschaft, Liebe, Tod, Ehre, Treue, Verrat, Krieg und Hoffnung.

Usagi Yojimbo ist die Geschichte des Ronin (herrenloser Samurai) Miyamoto Usagi, der, nachdem er seinen Herrn, Lord Mifune, in einer Schlacht verloren hat, durch das feudale Japan des 17. Jahrhunderts wandert. Usagi folgt dem Bushido ("Weg des Schwertes") und hilft den Menschen, denen er begegnet, angetrieben durch sein Ehr- und Pflichtgefühl, wo er kann. Dadurch gerät er immer wieder in Konflikt mit Banditen, korrupten Beamten, Dämonen und anderen reisenden Schwertkämpfern, und erlebt so die tollsten Abenteuer.

Stan Sakai (seines Zeichens Amerikaner japanischer Abstammung und Zeichner und Autor von Usagi Yojimbo) hat sich für die Abenteuer von Usagi eine ganz eigene Welt geschaffen. Hierin leben statt Menschen vermenschlichte Tiere (mit Ausnahme von Pferden und Vögeln) und die Fauna besteht zum Großteil aus Urzeitechsen und Fabelwesen. Gespenster, Dämonen und Monster sind in dieser Welt sehr real, und die Grenzen zwischen genau recherchierten historischen Fakten und Fantasie verwischen auf eine angenehme Weise.

Der Einstieg in die Welt von Usagi Yojimbo muß nicht zwingend mit Band 1 passieren. Alle Usagi-Geschichten können unabhängig voneinander und ohne großes Vorwissen gelesen werden, obwohl wir natürlich in der gesamten Saga auch Charaktere kennenlernen, die immer wieder eine Rolle in Usagis Leben spielen.

So treffen wir im Laufe der Zeit sowohl Freunde, wie z.B.:
• Gensuke (kurz Gen), der ein Kopfgeldjäger und Nashorn ist;
• Mariko, Usagis Jugendliebe, und deren Sohn Jontaro, die beide wie Usagi Hasen sind;
• und Usagis Sensei Katsuichi, einen Löwen;
als auch Feinde, wie:
• Lord Hikiji, Usagis Erzfeind und Verantwortlicher für den Tod seines Herrn;
• Lord Hebi, treffend als eine Schlange dargestellt;
• und diverse Ninja-Clans: Tiere des Dunklen wie Maulwürfe und Fledermäuse.

Aber es gibt auch Personen, die irgendwo in der Grauzone dazwischen liegen, z.B.:
• Zato Ino, der blinde Schwertkämpfer (ein Schwein);
• oder die Einsame Ziege und ihr Junges (frei nach dem berühmten Manga Lone Wolf & Cub).

Ich war von den Zeichnungen, Geschichten und Charakteren, die Stan Sakai geschaffen hatte, absolut hingerissen. Stan Sakai ist ein wahrer Meister des Erzählens. Egal ob hundert Seiten lange Epen oder 8-seitige Kurzgeschichten, Stan schafft es nicht nur dem Leser den Charakter der handelten Personen absolut klar darzulegen (teilweise sogar in einem einzigen Panel), sondern es gelingt ihm auch den Leser mit diesen Figuren mitfühlen zu lassen und zum Nachdenken zu bewegen.

Seine Geschichten haben etwas Meditatives. Stan erzählt ruhig und besonnen, aber nie langweilig. Selbst Gewaltszenen arten nie in sinnloses Blutvergießen aus, sondern wirken fast träumerisch. Man ist sich der Gewalt und dem Tod, auch ohne ausschweifende Darstellung, bewusst, und man spürt, dass auch die handelnden Personen Kampf und Gewalt nur als letztes Mittel sehen. Was aber nicht heißt, dass die Kampfszenen unspektakulär sind. Das Gegenteil ist der Fall.

Stan konzentriert sich in seinen Geschichten nicht nur auf die Erlebnisse von Usagi, sondern erlaubt es dem Leser auch das Schicksal der Nebenfiguren kennen zu lernen, die seinen Weg kreuzen und auf deren Leben er Einfluss nimmt, ohne das dies Usagi immer bewusst ist.

Stan erzählt ohne zeichnerische Effekthascherei. Sein Strich ist simpel und doch sind die Zeichnungen sehr detailliert. Die Figurengestaltung und die wunderschönen Hintergründe können das Auge des Lesers lange begeistern. Sein Gefühl für die "Kameraposition" bei der Panelgestaltung ist exzellent und sein visuelles Storytelling nimmt den Leser gefangen und entführt ihn ganz und gar in die Welt von Usagi Yojimbo.

Ich möchte alle, die das Medium Comic lieben, ermutigen einmal zu einem Band von Usagi Yojimbo zu greifen und sich selbst ein Bild von Stan Sakais unvergleichlicher Erzählkunst zu machen.
Sergio Aragones, Stan Lee, Jeff Smith und viele andere haben es bereits getan…also seid ihr in guter Gesellschaft.

Seppstock (in Zusammenarbeit mit Sebastian Müllerwerth)