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Sonntag, Juni 12, 2005

Wanted TPB

Gastrezension von Jack O'Lantern. Sehr vielen Dank!

Written by Mark Millar, pencils by J.G. Jones (Topcow). Deutsch: "Wanted" (Infinity, Mai 2005)

Wanted ist böse. Wanted ist brutal. Wanted ist schonungslos. Wanted ist die Geschichte des Verlierer-Typen Wesley Gibson – und gleichzeitig auch eine Geschichte über die Härte des Lebens, Kostüme, Superkräfte, Sex, Geld, Macht und Gewalt.

Wesley Gibson ist sogar für den Durchschnitt der breiten Masse ein fast schon erschreckend bemitleidenswerter Loser, dem das Leben jeden Tag – etwa dann, wenn ihn seine Freundin mit seinem besten Freund betrügt oder ihn seine Chefin mal wieder grundlos fertig macht – von Neuem ins Gesicht spuckt und zwischen die Beine tritt.

Das alles ändert sich quasi über Nacht (oder viel mehr, über die nächste Mittagspause), als Wesley von der ebenso schönen wie gefährlichen Superschurkin Fox und dem gleichfalls kriminellen Professor Solomon Seltzer darüber in Kenntnis gesetzt wird, dass er der Erbe des größten Superkillers ist, den die Welt jemals gesehen hat, und der vor kurzem ermordet wurde. Dieses millionenschwere Erbe, so erklärt man Wesley weiter, kann er aber nur dann antreten, wenn er sich einige Zeit in der Organisation der Superschurken, die diese Welt ohne einen einzigen Superhelden regiert, bewährt – und überlebt ...

„Leck mich!“ ist nicht nur die erste Lektion für Wesley Gibson in seinem neuen, aufregenden Leben, sondern bald auch die Maxime, die den Laden gewissermaßen am Laufen hält und Wesley in der Liga der Superschurken aufsteigen lässt. Nach einer harten Testphase, in dem ihm alle moralischen Skrupel genommen wurden, bekommt er endlich das Kostüm seines verstorbenen alten Herrn und wird in die Organisation aufgenommen, die dank Bestechung und Kontrolle frei schalten und walten kann, ohne irgendeine wie auch immer geartete Konsequenz fürchten zu müssen. Bei seiner Einweihung erfährt er allerhand Ehrerbietung und Freundlichkeiten, lernt aber auch den Erzfeind und mutmaßlichen Mörder seines Vaters kennen. Jetzt verrät man ihm außerdem endlich, was 1986 mit allen Superhelden der Welt passierte und weshalb sich heutzutage niemand mehr an sie erinnert – außer in der Fiction von Comics.

Was folgt, kennt man auch aus allen möglichen Gangster-Filmen und Krimis, von Scarface bis zum Paten: Geheime Treffen, Rivalitäten, Bandenkriege ... der Unterschied zu den alten Klassikern, in denen die Schurken schon damals in gewisser Weise die sympathischen Helden waren, liegt darin, dass in Wanted alles um Längen gemeiner und brutaler ist - und dass unser Freund Wesley inmitten dieses Sumpf aus Gewalt, Tod und Verrat steckt.

Die Organisation, die das Leben der ahnungslosen Menschheit aus dem Verborgenen lenkt und dabei auch vor den verschiedenen Dimensionen und Realitäten des Multiversums nicht Halt macht, hat ihr Gewicht auf den Schultern von fünf Organen auf den Kontinenten verteilt. Beim jährlichen Treffen der Anführer der Verbindung kommt es zum Streit. Eine Partei (Australien und Europa) will, im Gegensatz zu den anderen (Amerika, Asien und Afrika), an die Öffentlichkeit treten und der Welt zeigen, wer sie im Würgegriff des Schreckens hält. Die Abstimmung scheitert trotz voriger Absprache unter den Querulanten – und zwingt die Vertreter Australiens und Europas zum Handeln...

Die Verräter haben sich entschieden. Sie wollen nicht länger im Geheimen die Geschicke der Welt lenken, sondern Chaos in selbige tragen, gefürchtet werden und Albträume bereiten. Die Zeit der Heimlichkeit ist vorüber – es sei denn, Wesley und Fox können den Verrat an der Verbindung aufhalten und die Korrupten unter den Korrupten zurückschlagen und den Professor und alle anderen Mitglieder des amerikanischen Teils der Verbindung, die Opfer dieses Verrats wurden, rächen ...

Der Tag der Abrechnung beinhaltet dann aber deutlich weniger Hochgefühle, als Wesley sich das ausgemalt hat, denn jemand steht unerwartet von den Toten auf, nur um sich von Wesley noch vor dem nächsten Sonnenaufgang wieder ins Jenseits befördern zu lassen, damit die Prüfung, die diesen auf sein Erbe vorbereiten sollte, abgeschlossen werden und er sein schweres, großes Erbe antreten kann...

Die Aufmachung von Infinity ist gelungen und technisch in Ordnung, wenngleich man wieder einmal mit Redaktionsseiten und Infos zu den Machern gespart hat. Immerhin hat man dem Leser am Ende eine Coverbibliothek der US-Ausgaben spendiert, und da diese sich durchaus sehen lassen können, besteht Grund zur Freude. Alternativ stünde da aber auch noch ein sehr schönes Hardcover in englischer Sprache bereit, das zudem noch das vor der Reihe erschienene Dossier enthält, welches eine schöne, wenn auch eher kurzweilige Einstimmung zur 6-teiligen Serie bietet.

Fazit: Sicher muss man Millar und seinen Stil mögen, und ich für meinen Teil tue das nicht immer, doch Wanted ist - Millar hin, Millar her - ein bitterböser, manchmal ziemlich zynischer und sogar recht frecher Leckerbissen, der temporeich erzählt und mit viel (nicht immer ganz sinnvoller oder unbedingt notwendiger) Brutalität angereichert ist, und gegen den mir Lobo und der Punisher manchmal wie weichgespülte Popmusik von Britney Spears vorkommen. Vielleicht bin ich gerade ein wenig euphorisiert, doch ist Millar, der in diesem Band gewohnt schonungslos und offen ist und bei Zeiten sogar ein klein wenig über das Ziel hinaus schießt, kein gutes Haar an den gängigen Superhelden(-teams) lässt und vor versteckten Anspielungen nur so sprüht, mit Wanted ein zurecht gefeierter Gott des grafischen Erzählens. Auch die Zeichnungen von Jones sind eine Klasse für sich und wissen zu begeistern.

Alleine die Pointe am Schluss, mit der Millar alle aufgesetzte Sonnenschein-Moral und alle fadenscheinigen Happy Ends dieser Welt aufs Korn nimmt und regelrecht düpiert, katapultiert Wanted trotz stellenweise übertriebener Härte und nicht immer ganz jugendfreier Sprache an die Spitze der bisherigen Stories aus dem ersten Halbjahr 2005.

Jack O'Lantern