Wir sind Philos, Lamond und Seppstock. Hier findet ihr farbenfrohe Bilder, kleine Sprechblasen und unsere Meinung dazu.

Sonntag, Oktober 02, 2005

Ocean TPB

Gastrezension von Andy S. Sehr vielen Dank!

Written by Warren Ellis, Art by Chris Sprouse & Karl Story (DC Comics/Wildstorm).

Einhundert Jahre in der Zukunft. Ort der Handlung: Europa, der größte Mond des Gasriesen Jupiter. Wir tauchen ein in den Ozean, welcher unter einer halben Meile Eis darauf wartet, von Menschenhand erforscht zu werden. Nach dem Durchdringen der Eisschicht ist das erste, was die Forscher sehen, ein metallener Sarg. Dann noch einer. Und noch einer. Hunderte, tausende, vielleicht Millionen Metallsärge ruhen in der Tiefe des Ozeans. In ihnen befinden sich die sterblichen Überreste einer außerirdischen Kriegerrasse, welche vor Millionen von Jahren dort deponiert wurden. Doch warum? Welches Geheimnis verbergen die Särge? Und warum ist die „Doors Corporation“ bereit, alles zu tun, um die Särge als erstes zu bergen? Sind es überhaupt Särge und steckt vielleicht doch noch Leben in ihnen? Dies sind die Fragen, die sich mir nach der Lektüre der ersten beiden Kapitel stellten.

Beantworten sollte sie mir Warren Ellis’ Hauptprotagonist Nathan Kane, ein UN-Waffeninspektor der Erde, der zum Jupiter gesandt wird, um den Fund zu untersuchen. Ein wenig klischeehaft angelegt – ist die Figur doch geistig eher in der „guten alten Zeit“ beheimatet, wie so viele andere Film- und Comichelden auch, bekennt sich zu unmodernen, „besseren“ Werten und beschwört den amerikanischen Pioniergeist – wird der Herr Kane doch aufgrund seiner hemdsärmeligen und manchmal recht direkten Art rasch sympathisch. Dazu ist es durch Nathans Faszination für unser Jahrhundert für Ellis ein leichtes, hier und da Seitenhiebe auf unsere Kultur einzubauen: Bücher sind inzwischen in Vergessenheit geraten, die Raumfahrtversuche des 20. Jahrhunderts ein großer Witz.

Ebenfalls im Orbit um Europa und in Lauerstellung befindet sich eine Station der „Doors Corporation“, eine Firma zur kommerziellen Erforschung und Vermarktung von High Tech-Waffensystemen. Die „Firma“ war in den vergangenen hundert Jahren in der Lage, den „perfekten“ Arbeiter zu schaffen, dem für die Dauer seines Dienstes die eigene Persönlichkeit durch künstlich erschaffene Denkmuster ersetzt wird. So steht Inspektor Kane als Gegner ein gewissen- und gesichtsloser Firmenmoloch gegenüber, dem jedes Mittel zur Habhaftwerdung der Särge recht ist, da bei allen Angestellten die moralischen Verpflichtungen „abgestellt“ wurden. Erinnerte mich etwas an einen Bienenstock, in dem nur die Königin das Sagen hat. Dem gegenüber steht Kanes Forschungsteam von sehr bunten und verschiedenartigen Charakteren mit Macken, Problemen – und in einem Fall ziemlich versautem Humor.

Ellis schafft, wie immer, lebendige Figuren, die sowohl wortgewaltig am Essen herummäkeln, fluchen wie die Rohrspatzen, aber auch Angst und Trauer empfinden.
Ein ihm eigenes Stilelement sind die längeren, filmartigen Sequenzen, die teilweise seitenlang ohne Worte auskommen, so aber auch den gewünschten, imposanten Eindruck schaffen. Ellis’ Partner bei der Erschaffung dieser geradezu cinematographischen „Aufnahmen“ von New York, des Ozeans oder des Weltraums ist Chris Sprouse, den meisten wohl bekannt durch seine Arbeit an Alan Moores „Tom Strong“.
Sprouses Artwork ist schnörkellos, klar und wirklich großartig. Miterschaffen wird die Weltallatmosphäre durch Randy Mayors Farbgebung, welche auf grelle und bunte Töne komplett verzichtet und mit den Hauptfarben grau und braun eine echte Science Fiction-Stimmung hervorruft, in welcher der eisige blaue Ozean als absoluter Kältepol hervorsticht.
Leider tritt die Science Fiction-Story, das Geheimnis, welches die „Särge“ und die Alienrasse umgibt, im Laufe der Handlung für meinen Geschmack zu oft zu schnell in den Hintergrund und der Kampf gegen die „Firma“, welche sich die Waffensysteme der Aliens um jeden Preis aneignen will, wird mit Fäusten und Kanonen ausgefochten, bis es im letzten Kapitel zu einem äußerst explosionslastigen Finale kommt.

Wer Filme a la „Sphere“ oder auch „Alien“ mochte oder Lems „Solaris“ (wenn auch ungleich intellektueller und weniger actionreich) gerne las, kann thematisch mit „Ocean“ nicht sehr falsch liegen. Das Tradepaperback mit der kompletten sechsteiligen Story erscheint am 30.11.2005 im Hause DC/Wildstorm.

Andy S