Wir sind Philos, Lamond und Seppstock. Hier findet ihr farbenfrohe Bilder, kleine Sprechblasen und unsere Meinung dazu.

Sonntag, Januar 08, 2006

The Goon - ein Überblick

Gastrezension von Seppstock. Sehr vielen Dank!

Written and penciled by Eric Powell (Dark Horse Books).
Deutsch: Keine Veröffentlichung.

Ein altbekanntes Sprichwort lautet: "Man soll ein Buch nie nach seinem Umschlag beurteilen." Nichtsdestotrotz war es der Blick auf das Cover des THE GOON: Fancy Pants Edition HCs, der mich letzendlich dazu brachte in diese außergewöhnliche Comicserie einzusteigen.
Die in stimmungsvollem Grau gehaltenen Barszene in deren Mittelpunkt ein Kerl im typischen Arbeiterlook bei seinem Bier saß, riß mich sofort in ihren Bann. Irgendwie erinnerte mich dieser Typ an Marv aus Sin City, doch die Ähnlichkeit war eher subtiler Natur. Ich sollte beim Lesen von THE GOON noch oft feststellen, daß Eric Powell (seines Zeichens Autor, Zeichner und Inker von THE GOON) es meisterhaft versteht, Anleihen aus anderen Serien in sein eigenes Werk auf oft subtile oder auch mal eindeutige Weise einzubauen (wie z.B. Goons Handschuhe, die er wohl in einem Gerangel mit Eisners The Spirit erbeutet haben muß.)
Wie auch immer, jedenfalls entschloß ich mich in diesem Moment nicht nur das angesprochene HC zu erstehen, sondern mir alle verfügbaren Trades der Serie (0-3) zuzulegen. Eine Entscheidung, die ich nicht bereuen sollte.

Schon nach der Lektüre des ersten Trades war mir klar, daß ich hier auf etwas ganz Besonderes gestoßen war. Der Goon, eine Mischung aus Hellboy und Marv, der in einer Stadt, die ein schmuddeliges Viertel von Central City sein könnte, in welches sich Will Eisners Spirit nie getraut hat, das kleinere Übel zwischen Zombies und Monstern darstellt, und auf seine ganz eigene Art und Weise für Recht und Ordnung sorgt.

Eric Powell startete THE GOON, seine erste eigene Serie, in einem Moment in dem seine künstlerische Entwicklung bereits weit fortgeschritten war. Im ersten Trade Rough Stuff ähnelt sein Stil noch dem von Kyle Hotz und ist äußerst detailreich. Doch in den folgenden Trades versimplifiziert Powell seinen Stil immer weiter. Diese Stilisierung ermöglichte es ihm Menschen, Cartoonfiguren (wie Goons Kumpel Franky, später mehr zu ihm), sprechende Riesenspinnen, Dämonen, Zombies und Monster ganz im Allgemeinen vollkommen glaubwürdig nebeneinander agieren zu lassen. Daß er zudem ein begnadeter Künstler im Umgang mit Pinsel und Farbe ist, wird jeder nach einem Blick auf seine fantastischen, gemalten Cover selbst bestätigen können.

Und er traf mutige Entscheidung was Hauptfigur und Konzept der Serie betraf.
Der Goon, die Hauptperson der Serie, ist kein typischer Comicheld. Zu erst einmal ist er nicht gerade ein Adonis, sein Körperbau gleicht mehr dem eines Gorillas als dem eines Menschen und sein Überbiß trägt nicht gerade dazu bei sein, durch eine furchtbare Verletzung halbseitig entstelltes Gesicht fotogener zu machen.
Aber es ist nicht nur die Erscheinung von Goon (was der einzige Name ist, unter dem wir den Protagonisten kennen), die ihn von anderen Comic-"Helden" absetzt. Der Goon lebt in einer moralischen Grauzone. Er ist die rechte Hand von Labrazio, dem Mob-Boss, der die Heimatstadt des Goon kontrolliert... zumindest wird dies dem Leser zu Beginn der Serie so vermittelt. Doch die Wahrheit ist wesentlich komplexer.

Nicht weniger ungewöhnlich ist das Konzept der Serie. Der Zombie-Priester hat sich in Goons Heimatstadt eingenistet und versucht diese mit von ihm wiedererweckten, untoten Gangstern unter seine Kontrolle zu bringen. Goon und sein Kumpel Franky halten recht wenig von dieser Idee und setzen alles daran die "Slack Jaws" in ihre Schranken, bzw. Gräber zu verweisen. Auf dieser simplen Grundidee baut Powell ein faszinierendes Universum aus Geschichten und Charakteren auf, welches beständig wächst und durch schwarzen Humor, geheime "Origins" (was geschah in China Town?), und mehr Tiefe, als man der Serie eigentlich zutrauen würde, den Leser in seinen Bann zieht.

Schon im ersten Trade erfahren wir, daß hinter Goon und seinem Job mehr steckt als uns Powell zu erst weiß machen will. Überhaupt hat der Goon eine äußerst bewegte und bewegende Lebensgeschichte. Im Verlauf der Serie erfahren wir immer mehr über ihn selbst und wie er zu dem wurde, was er heute ist. Die Rückblenden ziehen den Lesers ins Vertrauen, machen ihn zu Goons Komplizen. Man kann sich der Serie danach einfach nicht mehr entziehen, ohne das Gefühl zu haben den armen Kerl zu hintergehen. Armer Kerl? Ja, denn der Goon ist auch eine tragische Figur. Jedes dunkle Geheimnis macht den Goon menschlicher und mehr zu einer Person, die den Leser mitfühlen läßt. Powell baut dramatische Enthüllungen und Momente ein, ohne den eigentlich humoristischen Ton seiner Serie zu unterlaufen. Eine Meisterleistung.

Doch der Goon ist nicht der einzige Charakter, der Tiefe aufweist und den Leser fasziniert. Alle Figuren der Serie haben präzise definierte Persönlichkeiten. Im Folgenden will ich einige wenige etwas genauer betrachten:

Franky, Goons bester Kumpel, ist ein kleiner Irrer (er erinnert mich immer an das Psychokarnickel Max, bekannt aus der Comicserie und dem Spiel Sam & Max), aber ein verdammt guter und verläßlicher Freund. Franky lebt immer noch bei seiner Mutter und ist immer auf der Jagd nach der Frau fürs Leben... oder zumindest für die nächste Nacht. Außerdem teilt er Goons Leidenschaft für ausschweifende Zombiemassaker. Powell hat Franky in einem Cartoonstil gestaltet, der eigentlich nicht zum Aussehen der anderen Personen in THE GOON paßt, aber gerade dieser Look verdeutlicht Frankys Rolle als schwarz-komödiantischer Gegenpart zu Goon, der immer wieder den richtigen Spruch im richtigen Moment parat hat, und irgendwie muß man den kleinen Kerl einfach gern haben, wenn er (wie im zweiten Trade) mit einer Axt Zombies zerlegt. Es ist Powell hoch anzurechnen, eine Cartoonfigur wie Franky glaubwürdig in eine sonst eher realistisch (soweit man bei THE GOON von Realismus sprechen kann) anmutende Welt einzuarbeiten.

Ein eigentlich noch seltsamerer Gast von Goons Stammkneipe ist Spider, eine riesige, sprechende Spinne mit Hut, die immer in Geldnöten ist, außerdem Frau und massig Kinder zu Hause hat und ein miserabler Pokerspieler ist. War es schon eine Leistung Franky glaubwürdig einzubauen, kann ich bei Spider nur noch kommentarlos meine Hut ziehen.

Die neben Goon wohl tragischste Figur ist Buzzard. Ein zombiejagender und -fressender Revolverheld auf der Suche nach Erlösung. Ich will nicht zu viel zu ihm erzählen, aber wer seine Geschichte gelesen hat und davon ungerührt bleibt, hat kein Herz.

Auch zum Zombie-Priester, Labrazio, Merle, dem Werwolf, Dr. Alloy, dem gutmeinenden, aber fehlgeleiteten, Wissenschaftler und vielen anderen gäbe es einiges zu sagen, aber dies zu erfahren, überlasse ich dem gewillten Leser.

Eric Powell präsentiert uns die Welt des Goons in weichen, leicht stilisierten Zeichnungen. Er hat sich offensichtlich viele der Lehren von Will Eisner zu Herzen genommen und einen Stil gefunden, in dem er seine Geschichten um Monster, Zombies und persönliche Tragödien unaufdringlich und doch einnehmend erzählen kann. Und er ist ein exzellenter Storyteller. Egal ob Action oder "Talking Faces", man ist immer wieder fasziniert von der Ausdruckskraft jedes einzelnen Panels. Nicht umsonst wurde die Serie auch mit zwei Eisner Awards geehrt.

Ich kann diese Serie jedem Freund von schwarzem Humor, Hellboy, The Spirit, Zombie-Comics oder einfach gut erzählter und fesselnder Stories nur ans Herz legen. Zwar kann man jeden Trade von THE GOON auch einzeln und für sich lesen, allerdings bauen alle Ereignisse doch irgendwie aufeinander auf, und es macht einfach viel mehr Spaß die Entwicklung des von Eric Powell hier geschaffenen Universums von Anfang an mit zu verfolgen.
Für ein Reinschnuppern in die Serie kann ich den wunderschönen Fancy Pants Edition HC empfehlen. Dieser ist nicht allzu teuer (ca. 25$) und bietet neben der für Dark Horse üblichen, wunderschönen und hochqualitativen Aufmachung, einen chronologischen Überblick über das Leben des Goon und einige der besten bisher erschienenen Geschichten.

Ich hoffe, dieser kleine (hehe) Überblick über THE GOON konnte meine Hochachtung und Begeisterung für Powells Werk vermitteln und den einen oder anderen neugierig auf diese wunderbare Serie machen. Ich verbleibe in der Hoffnung auf das baldige Erscheinen eines Artbooks von Dark Horse zu THE GOON, eine deutsche Veröffentlichung und viele neue, begeisterte Leser für diese außergewöhnliche Comicserie.

Sebastian Müllerwerth alias Seppstock