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Sonntag, April 23, 2006

Calvin and Hobbes

by Bill Watterson (Andrews McMeel Publishing, 1987). Deutsch: "Calvin und Hobbes" (Carlsen Comics, Oktober 2005, Softcover, 128 Seiten, 12,90 Euro, ISBN: 3-551-78611-9).

Gastrezension von Christian Endres a.k.a. Jack O'Lantern. Sehr vielen Dank!

Bill Wattersons Calvin and Hobbes erschienen von 1985 bis 1995 in unzähligen amerikanischen Tages- und Sonntagsblättern und erfreuten sich schnell großer Beliebtheit. Ungeachtet dieses Erfolgs wehrte sich Watterson jedoch stets gegen eine kommerzielle Ausbeutung seiner Figuren durch Lizenzprodukte – mit Erfolg, denn bis auf Sammelbände seiner Strips und Zeichnungen in Buchform wurde nie ein anderes Merchandiseprodukt auf den Markt gebracht. In den Strips nun folgen wir dem sechsjährigen Calvin und dem in der Phantasie des Jungen regelmäßig zum Leben erwachenden Plüschtiger Hobbes durch den Alltag der beiden, erleben mit ihnen allerhand Abenteuer und lustige Begebenheiten und lauschen mit einem Lächeln auf den Lippen ihren hintersinnigen Diskussionen über die wirklich wichtigen Dinge des Lebens: Eltern, Hausaufgaben, Mädchen, Gott und selbstverständlich all den Spaß, den zwei Freunde, die gemeinsam durch dick und dünn gehen, eben haben können. Seit Oktober 2005 macht sich der Carlsen Verlag hierzulande an eine Neuauflage der Bände, denen die US-Softcover von Andrews McMeel Publishing zu Grunde liegen.

Quadratisch. Praktisch. Gut. In der Regel trifft diese Phrase auf geadelte Schokolade zu, doch könnte man sie in leicht abgewandelter Form und ohne große Gewissenbisse auch für den ersten Band von Calvin und Hobbes heranziehen, der im Herbst letzten Jahres bei Carlsen erschienen ist. Schließlich ist das 128 Seiten starke Softcover für den Leser amerikanischer Superheldencomics, japanischer Mangas oder frankobelgischer Alben wenigstens vom Format her eine kleine Absonderlichkeit, um nicht zu sagen durchaus etwas Besonderes. Zum Glück ist es aber nicht einzig und allein das Format, das diese Sammlung kurzweiliger Zeitungsstrips zu etwas ganz Besonderem macht...

Etwas ganz Besonderes ist auch die Freundschaft zwischen Calvin und seinem Stofftier, dem Tiger Hobbes, der in der Phantasie des Jungen nur allzu häufig, ja eigentlich fast ständig lebendig wird und ist, Calvin stets mit weisem Rat und unerschrockener Tat zur Seite steht und mit ihm durch dick und dünn geht. Dabei stellen die beiden das Leben von Calvins Eltern nur allzu gerne auf den Kopf, toben wie die Wilden im Haus oder draußen herum, genießen sowohl den Sommer, als auch den Winter und fürchten sich auch nicht vor Mädchen, Lehrern oder Schulrektoren, von Dinosauriern oder Außerirdischen ganz zu schweigen. Doch die zwei Freunde streiten sich auch einmal bis die Fetzen (oder Federn) fliegen, wenngleich die Versöhnung und die Bereitschaft zur Auffrischung ihrer außergewöhnlichen Freundschaft durch mehr oder minder herzliche Gesten in der Regel nicht allzu lange auf sich warten lässt: Etwa, wenn der kleine Calvin seinen Eltern so lange in den Ohren liegt oder herumschreit, bis Hobbes im feinen Zwirn mit ins Restaurant darf, oder die beiden sich gegen einen gemeinsamen Feind wie die sabbernden Monster unter dem Bett oder die Badewanne verbünden müssen...

Bill Wattersons einfallsreiche Strips sind durchwegs in schwarzweiß gehalten und werden ab und an höchstens von ein paar Graustufen oder einer grauschwarzen Rasterfläche durchbrochen – was den liebevollen Zeichnungen oder gar deren Charme jedoch keinen Abbruch tut. Ganz im Gegenteil: Mit bewundernswerter Leichtigkeit und ohne unnötigen Bal-last und Schnickschnack füllt Watterson den Alltag von Calvin und Hobbes mit Leben, wobei es ihm scheinbar keinerlei Mühe bereitet, große Emotionen mit wenigen, dafür aber umso ausdrucksstärkeren Strichen einzufangen und aufs Papier zu bannen. Doch auch mit der Dynamik hat Watterson keine Probleme, und wenn es sein muss und er Calvin und Hobbes wie zwei Windhosen beim Tango durchs elterliche Haus jagen oder mit dem Bollerwagen über den Abhang sausen lässt, dann bedient er sich auch einmal eines etwas konfuseren Strichs oder gar eines einschneidenden Soundwords. Bei den Hintergründen variiert Watterson hingegen von Panel zu Panel oder Strip zu Strip: Idyllische Natur und fremdartige Planeten werden zumeist liebevoll ausgearbeitet, während Calvins Elternhaus vom Background her mal im wahrsten Sinne des Wortes blass bleibt, mal in einer detailverliebten Momentaufnahme seines Kinderzimmers eingefangen wird.

Obwohl also auf eher kleinem Raum eines Zeitungscomicstrips präsentiert, demonstrieren die kurzen Stories neben der visuellen Vielfältigkeit des Mediums an sich auch explizit die große Kunst und das zeichnerische Talent des Bill Watterson, der seinen Leser schon nach einer Hand voll Seiten in den Bann zieht – und alleine schon aufgrund der Optik seiner Geschichten Calvin und Hobbes Anspruch eines Klassikers eindrucksvoll dokumentiert.

Was den Inhalt der wunderschön zu Papier gebrachten Strips anbelangt, ist Vielseitigkeit wieder ein gutes Stichwort: Wie es sich für einen Zeitungscomic regelmäßiger Erscheinungsweise gehört, ähneln sich viele Episoden vom Grundcharakter oder der Stimmung her, doch sind sie letztlich natürlich allesamt abwechslungsreich genug, so dass sie sich auch dann, wenn man die 128 Seiten dieses Sammelbandes am Stück liest, in keinster Weise abnutzen oder jemals auch nur langweilig werden.

Bis auf die Episoden, in denen Calvins Tagträumereien den liebens-werten Quälgeist zum Weltraumhelden Spiff mutieren lassen und die nicht immer ganz den Kern der Sache bzw. meinen Geschmack getroffen haben, hat mir dann eigentlich auch jeder Strip oder jedes wiedererkennbare »Thema« gut bis sehr gut gefallen. Dabei brillieren Wattersons Humor und Tiefsinnigkeit vor allem in den Strips, in denen Calvin sich mit seinen Eltern herumärgern muss – oder umgekehrt, je nachdem – und natürlich in jenen selbst geschaffenen oder selbst auferlegten Abenteuern, die Calvin mit seinem gestreiften Freund bestehen muss, was nicht zuletzt häufig in ungemein treffsicheren oder pointierten Schlusspanels mündet. Diese zuletzt genannten »Abenteuer« können todesmutige Fahrten im Bollerwagen sein, die meist mit einem unerfreulichen Abgang enden, oder ein persönlicher Kleinkrieg gegen die fiesen Monster unter Calvins Bett oder die Fische im See – und natürlich die ruhigen Gespräche philosophischen Charakters über Mädchen, Gott und das Leben nach dem Tod, die Calvin und Hobbes führen, während sie in aller Ruhe auf einer Wiese liegen und zum Himmel blicken und man die friedliche, träumerische Stimmung fast aufsaugen kann. Stets einfach, stets genial, stets einfach genial.

Während der des Englischen mächtige Comicfreund derzeit für schlappe 107,– Euro im Online-Urwald fast 1500 Seiten Calvin und Hobbes in Form von The Complete Calvin and Hobbes einkaufen kann, veröffentlicht Carlsen mit dem vorliegenden ersten Band der deutschen Neuausgabe zumindest alle Strips und Sonntagsstrips, die zwischen dem 18.11.1985 und dem 17.08.1986 erschienen sind, wenngleich die etwas längeren Sonntagsstrips wie ihre werktäglichen Verwandten ebenfalls ohne Farbe auskommen müssen. Das bereits angesprochene Format (ca. 22x23 cm) sorgt trotz seiner ungewohnten Anmutung gemeinsam mit einer guten Klebebindung für uneingeschränkten Lesekomfort und eine ansprechende Größe der einzelnen Strips, wohingegen die beiden kurzen einleitenden Texte, die der ersten Sammlung voran gestellt sind, zwar nettes Beiwerk sind, aber nicht wirklich zu überzeugen wissen und keine allzu gelungene oder adäquate Einstimmung auf die folgenden Geistesblitze von Bill Watterson darstellen. Unterm Strich weiß das Softcover aber zu gefallen und ist - nicht zuletzt aufgrund seines schönen Covers und des vielzitierten Formats, das die Strips und Wattersons Artwork richtig zur Geltung kommen lässt...

Fazit: Der Zauber von Calvin und Hobbes lässt sich nur schwer auf ein oder zwei Punkte festmachen, geschweige denn reduzieren. Letztlich ist es erst das gelungene Zusammenspiel von Inhalt, Dialogen und Artwork, das dieser Serie das gewisse Etwas verleiht, ohne dass ich nun zu sagen vermag, ob das eine auch ohne das andere genauso prächtig funktionieren würde oder ob es in erster Linie diese oder jene Komponente ist, die den Ton bestimmt. Wahrscheinlich sind Wattersons Geschichten das, was man als perfekte Symbiose bezeichnen könnte – also fast so etwas wie ein sechsjähriger Junge und sein lebhafter Plüschtiger.

Auch möchte ich an dieser Stelle nicht so weit gehen und behaupten, dass wir momentan so etwas wie die Renaissance der Zeitungscomicsstrips feiern. Dennoch registriere ich mit einigem Wohlgefallen und schier grenzenloser (Vor-)Freude, dass es Strips wie Calvin und Hobbes zur wohlverdienten Neuauflage bringen, während die Peanuts, Garfield und Prinz Eisenherz schon in den Startlöchern stehen, um ab Herbst diesen Jahres nicht weniger verdiente, edle Hardcover-Werkausgaben verpasst zu bekommen, die gute Aussichten haben, ihrem Inhalt erstmals vollauf gerecht zu werden. Dabei sei nun einfach mal dahingestellt, ob die Impulse, solche Reihen auch auf Deutsch zu bringen, maßgeblich deren Erfolg in Übersee zu verdanken sind, oder vielleicht doch einfach nur die Signale der deutschen Leserschaft wiederspiegeln, die von den entsprechenden Verlagen hierzulande lediglich dankbar aufgenommen wurden...

Calvin und Hobbes nun ist ein halbwegs preiswerter Einstieg in die Welt der amerikanischen Zeitungscomicstrips, der inhaltlich und optisch auf ganzer Linie überzeugen kann und völlig zu Recht als Klassiker dieses Mediums gilt. Man muss die gut durchdachten und gezeichneten Geschichten um dieses unternehmungslustige Duo einfach mögen und kann gar nicht anders, als sich nach Lektüre des ersten Bandes die seit Oktober erschienenen Fortsetzungen (zwei an der Zahl; Band vier ist bereits in Vorbereitung) zu ordern.

Kurzum: Liebenswerte Figuren, eine große Freundschaft, hinreißende Geschichten, spritzige Dialoge, großartige Zeichnungen und nicht zuletzt eine zwar einfache, aber solide Aufmachung in ungewöhnlichem Gewand – das genügt mir, um dem ersten Band von Wattersons dynamischen Duo der etwas anderen Art eine uneingeschränkte Empfehlung auszusprechen und sie jedem Comicfreund ans Herz zu legen.

Wer diesen Band nicht liest, der ist nicht nur selbst Schuld, sondern kommt auch in die Comic-Hölle – oder nach Pittsburgh...

Christian Endres a.k.a. Jack O'Lantern