Wir sind Philos, Lamond und Seppstock. Hier findet ihr farbenfrohe Bilder, kleine Sprechblasen und unsere Meinung dazu.

Sonntag, Mai 07, 2006

Schönheitsflecken

InDeeVee: Mai 2006

Geschrieben und gezeichnet von Jean-Philippe Peyraud.

ER liebt es, IHRE Schönheitsflecken zu zählen.
ER zählt 268. Einer fehlt. Den hat SIE sich entfernen lassen, weil er sich zu einem Melanom entwickelt hat.
ER zählt 270. Mist, da hat ER sich wohl verzählt!
ER zählt 269. Alle da. Die Zahl kann ER nicht vergessen. Erinnert IHN an SEINEN Geburtstag. Februar 1969.

ER und SIE, die namenlos bleiben, sind ein Ex-Paar, das sich getroffen hat, um zu quatschen. Dazu wurde etwas getrunken und man ist schließlich zusammen im Bett gelandet.

Erzählt wird ein Beziehungsdrama in drei Variationen, die sich stark unterschieden und doch so gleich erscheinen.

In der ersten Variante ist ER bei IHR und als ER scherzhaft IHREN neuen Freund erwähnt, reagiert SIE sogleich zornig. Auch sonst scheint es, daß die beiden nicht sonderlich gut auskommen. ER ist nämlich hier und da gehässig, was SIE immer wieder in eine Trotzhaltung bringt. Aber auch SIE macht sich über SEINE Eigenarten hier und da lustig.

ER geht und SIE bleibt alleine zurück und versinkt in tiefe Gedanken.

In der zweiten Variante sind beide bei IHM. Die Stimmung ist etwas lockerer, aber auch hier ist ER nachtragend und erwähnt IHREN Freund. Allerdings wird das Thema schnell ad acta gelegt. Dennoch geht SIE und ER blickt ihr nach.

Die dritte Variante spielt weder bei IHM noch bei IHR. Die beiden sind in einem billigen Hotel. Es regnet in Strömen und nachdem man über die Beziehung reflektiert hat, entschließt man sich, eine weitere Nacht zusammen zu verbringen.

Dreimal die gleiche Geschichte… und doch nicht.

Natürlich handelt jede Geschichte davon, daß sich ein Pärchen erneut findet – und sei es auch nur für eine gemeinsame Nacht, ausgelöst durch heitere Stimmung und Alkohol, so erfahren wir doch in jeder Variante etwas mehr oder halt eine andere Version.

Ist SIE mit ihrem neuen Partner glücklich? Kann er IHM das Wasser reichen?

Lebt ER in seiner neuen Beziehung auf oder wird er immer an SIE denken müssen?
War die damalige Beziehung ein Misserfolg? Was ist schief gelaufen und warum? Gibt es eine Chance für einen Neuanfang? Will man das überhaupt?

Fragen über Fragen. Welche Version die „richtige“ ist, lässt sich gar nicht sagen. Vielmehr wird eindrucksvoll gezeigt, wie schnell unser Leben in anderen Bahnen verlaufen kann, wenn man nur ein falsches Wort sagt, ein unpassendes Thema anschneidet oder wenn man überhaupt nicht miteinander redet.
Das Glück ist vergänglich. Die Liebe auch?

„Grain de beauté“ oder halt „Schönheitsflecken“ ist eine kleine, nette Alltagsgeschichte, die von ihren natürlichen Dialogen lebt, die an jeder Stelle aus dem Leben gegriffen zu sein scheinen.
Interessant ist lediglich, daß es keine vierte Variante gibt, in der sich die beiden namenlosen Protagonisten Vorwürfe machen, daß es überhaupt so weit gekommen ist und sie ja letztendlich ihre jeweiligen neuen Partner betrogen haben, was aber scheinbar völlig unter den Teppich gekehrt wird. Die beiden Figuren leben nur für sich und ein gewisser Egoismus lässt sich da nicht leugnen. Vielleicht ist das aber heutzutage auch einfach nur normal, daß man möglichst oft durch unterschiedliche Betten hüpft und Peyraud hält in diesem 144-seitigen Werk den Leuten einfach nur den Spiegel vor.

Die Zeichnungen sind schlicht, aber dennoch sehr ausdrucksstark und erinnern an Andi Watson (Slow News Day, Breakfast Afternoon). Sie wirken verspielt, verträumt und einfühlsam.

Einzig und allein das Format erscheint etwas ungewöhnlich. Nun ist es ja kein Geheimnis mehr, daß sich franko-belgische Comics jenseits von Asterix, Lucky Luke und Spirou hierzulande kaum noch verkaufen und so suchen die Verlage wohl nach alternativen Formaten und passenderem Material.

Im Original erschien die Serie ursprünglich von 1999-2002 als dreiteilige Miniserie, wurde aber auch als Sammelband veröffentlicht. Diesen hat Carlsen sich nun zur Vorlage genommen. Hat man bereits bei „Jenseits der Zeit“ direkt einen Komplettband vorgelegt und das Format verkleinert, so scheint dies auch hier der Fall zu sein (man korrigiere mich, falls dem nicht so ist). Was man hier in der Hand hält, ist ein kleines Taschenbuch. Den Zeichnungen hat das beileibe keinen Abbruch getan, aber Carlsen zielt wohl auf den Buchhandel ab, der die übergroßen Formate mittlerweile ablehnt (auch wenn die Kleinverleger und Puristen weiter stur an diesem Format festhalten und sich dann wundern, warum sie lediglich zwischen 1000 und 2000 Exemplare verkaufen). Nun stellt sich aber die Frage, ob dieses Format nicht ZU klein ist und nicht zu leicht übersehen wird. Wäre schade, wenn sich dieses Comic nicht als erfolgreich erweisen würde.

Auch vom Marketing her zielt man wohl auf eine weibliche Leserschaft ab, da das Format als „Handtaschenformat“ angepriesen wurde und seit den Manga ist eben diese Klientel eine Kundschaft mit großer Kaufkraft geworden.

Hoffentlich wird sich ein Verlag auch den anderen Werken Peyrauds, z.B. „Premières Chaleurs“, annehmen.

Der Grammaton Kleriker

1 Comments:

Anonymous Anonym said...

"Schönheitsflecken" ist im Originalformat erschienen. "Grain de Beauté" ist in Frankreich zuerst in drei kleinen Bändchen in s/w erschienen und wurde dann zu einem farbigen Sammelband zusammengefasst, der in etwa dem dt. Band entspricht.
Weitere Comics von Peyraud würde auch ich gern bei Carlsen sehen...
Michael Groenewald (Carlsen-Redaktion)

18:54

 

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