Wir sind Philos, Lamond und Seppstock. Hier findet ihr farbenfrohe Bilder, kleine Sprechblasen und unsere Meinung dazu.

Sonntag, August 06, 2006

Madrox: Multiple Choice TPB

Written by Peter David, pencils by Pablo Raimondi (Marvel). Deutsch: Keine Veröffentlichung.

Kennt ihr diese Situationen, in denen ihr euch am liebsten Ohrfeigen würdet? Habt ihr auch schon Momente erlebt, in denen ihr euch geistig selbst auf die Schulter geklopft habt? Nun, man nennt dieses „Phänomen“, bei welchen man sich selbst beobachtet und beurteilt „Selbstreflexion“ und während sie bei uns meist nur gedanklicher Natur ist, muss Jamie Madrox jederzeit damit rechnen, dass ihm einer seiner vielen „Ichs“ tatsächlich ohrfeigt, auf die Schulter klopft oder beides in umgekehrter Reihenfolge.

Jamie Madrox ist ein Mutant und Mitglied der Mutantengruppe X-Factor. Er arbeitet als Privatdetektiv und geniesst es sichtlich, jedes einzelne „Film noir“ - Klischee auszuleben. Seine Mutantenfähigkeit besteht darin, dass er sich, sobald er sich irgendwo stösst, in unbegrenzter Zahl vervielfältigen kann. Die dabei entstehenden Doppelgänger sind aber nur äusserlich identisch. Charakterlich widerspiegeln sie lediglich einzelne Aspekte von Madrox’ Persönlichkeit wie z.B. dessen selbstkritisches Ich, dessen gleichgültiges Ich oder dessen feiges Ich. Ihr könnt euch sicherlich vorstellen, dass diese Fähigkeit stark zwischen Gabe und Handicap schwankt.

Jamie ist sich der Ambivalenz dieser Mutation sehr wohl bewusst. Infolgedessen pflegt er einen äusserst vorsichtigen aber dennoch sehr systematischen Umgang mit seinen Kräften. So hat er mehrere seiner „Dupes“ in die Welt hinausgeschickt um Wissen und Erfahrungen zu sammeln, von denen er, sobald er die Kopien wieder in sich aufnimmt, selbst profitiert. Geduldig wartet unser Mutanten-Detektiv in seinem Büro auf seine wiederkehrenden Ichs und auf seinen ersten Fall und wie es der Zufall so will erhält er beides in einem. Von da an, begibt sich Jamie auf die Suche nach seinem eigenen Mörder.

Man hätte keinen besseren Autor für diese Mini-Serie finden können als Peter David. Dieser erlebt momentan seinen zweiten Frühling und liefert mit Madrox eine der meist inspirierten Comics aus 2005. Peter David gehört zur „alten“ Generation der Marvel Schreiberlinge, nicht jedoch zum alten Eisen. Der Unterschied zwischen David und dem aktuellen Autorenkreis liegt darin, dass ersterer kein Spezialist sondern ein Allrounder ist. Er kann alles und zwar auf hohem Niveau: So hat er nicht nur hervorragende Ideen, sondern kann sie auch entsprechend umsetzen. Er weiss wie man interessante Dialoge schreibt, ist jedoch nicht darauf beschränkt. David hält in seinen Storys ein Gleichgewicht, wie man es heutzutage nur noch selten im Superhelden Genre sieht.

Pablo Raimondis Zeichnungen erinnern mich in dieser Ausgabe sehr stark an Toni Harris’ Arbeit bei Brian K. Vaughans Ex Machina. Sehr detailreich und trotzdem nicht ganz so photorealistisch. Die Schattierung ist markant, jedoch passt sie hervorragend zur düsteren Grundstimmung der Geschichte. Leider fehlt es den Bildern manchmal etwas an Dynamik.

„Madrox“ trifft den Nerv des Lesers, indem Peter David elegant mit den absurden Fähigkeiten der Hauptfigur spielt und diese Elemente schliesslich völlig natürlich in die Geschehnisse einfliessen lässt. So entwickelt sich im Endeffekt eine Geschichte, die irgendwo zwischen Krimi, Superhelden-Action und schwarzer Komödie anzusiedeln ist und einen zufrieden lächelnden Leser zurücklässt, der sich wünscht, dass die Nachfolge-Serie „X-Factor“ nur annähernd so gut wie diese Mini ist.

10/10
Lamond