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Sonntag, November 19, 2006

Iron Man: Extremis TPB 1

Written by Warren Ellis, pencils by Adi Granov (Marvel). Deutsch: K.A.






























„I went from being a man trapped in an iron suit to being a man freed by it.“
Seit Anfang 2003 lese ich nun US Comics und obwohl ich die Produkte verschiedener Verlage und Genres lese und geniesse, habe ich doch eine starke Vorliebe für die Helden und Abenteuer des Marvel Universums. In dieser Zeitspanne wurde eben dieses Universum immer moderner, realer und gefährlicher und logischerweise führt eine veränderte Umwelt dazu, dass die darin lebenden Figuren an die neuen Verhältnisse angepasst werden müssen, da man sonst riskiert, dass sie altbacken und deplatziert wirken.

Iron Man war für mich einer dieser Charaktere. Ein Mann in einer gewaltigen rotgoldenen Roboterrüstung erinnerte für meinen Geschmack ein wenig zu sehr an 30er Jahre Science-Fiction Romantik. Ein Superheld dessen Stärke sich auf technologischen Fortschritt stützt, muss seiner Zeit voraus sein und nicht 70 Jahre hinterherhinken, ausser das ganze ist als Komödie oder Satire gemeint, was bei Iron Man jedoch nicht der Fall ist.

Doch das war bei weitem nicht die einzige Schwäche dieser Marvelikone. Toni Stark, der zu Beginn seiner Superheldenkarriere aufgrund einer lebensgefährlichen Kriegsverletzung von der Iron Man Technologie abhängig war, wirkte mittlerweile – da er die Kriegsverletzung und damit auch die Abhängigkeit überwunden hat – nur noch wie ein gelangweilter Millionär, der das Superheldendasein als Extremsport verstand. Damit fehlte diesem Charakter eine wesentliche Komponente, die alle klassischen Superhelden gemeinsam haben, das Getriebensein. Spider-Man handelt aus Schuldgefühlen, Batman aus Wut, Superman aus Einsamkeit und Captain America aufgrund seiner Ideale. Iron Man tat es in den letzten Jahren nur noch aus gepflegter Langweile. Er brauchte also dringend eine Generalüberholung. Enter Warren Ellis!

Der Neustart beginnt äusserst ambitiös, in dem Tony Stark in einem Interview heftig angegriffen wird. Ob er denn nicht ein Heuchler sei, wenn er sich mit der Entwicklung der Iron Man Technologie für das „Gute“ einsetze und im nächsten Augenblick einer militärisch sehr aktiven Regierung Waffen verkaufe, fragt der Reporter. Zwar kontert Tony mit durchaus eloquenten Rechtfertigungen, gesteht sich selbst zum Ende des Interviews ein, dass er niemals behauptet habe perfekt zu sein und dass er immer wusste, dass früher oder später Blut an seinen Händen kleben würde. Er habe jedoch stets das Beste für die Welt gewollt, wohingegen andere immer nur mit der Moralkeule um sich schlagen und ansonsten keinen Finger gerührt hätten.

Dieses intensive Zwiegespräch regt nicht nur die Gedanken des Lesers sondern auch jene der Hauptfigur an und so erfährt man wenig später: „I went from being a man trapped in an iron suit to being a man freed by it.“

Zur gleichen Zeit geht es in einem geheimen Labor in Austen (Texas) drunter und drüber. Dr. Maya Hansen – eine Jugendfreundin Tony Stark und mittlerweile Projektleiterin des Extremis Experiments – muss entsetzt feststellen, dass Unbekannte vergangene Nacht ins Gebäude eingebrochen und eine „Extremis“-Dosis gestohlen haben. Ohne zu zögern bittet die attraktive Wissenschaftlerin ihren alten Freund um Hilfe.

Im Laufe der Geschichte erfährt man dann, dass „Extremis“ ein sogenannter synthetischer Nanovirus ist, der einmal im Blutkreislauf, das menschliche Immunsystem vollkommen umkrempelt und die betroffene Person zu einem beinahe unbesiegbaren Maschinenmensch macht, der Kontrolle über alle elektronischen Geräte hat.

Über das Ausmass dieser geheimen Superwaffe im Klaren macht sich Tony Stark sofort auf die Suche nach den Dieben um schlimmeres zu verhindern, doch es ist bereits zu spät. Der psychopatische Madden, dessen paramilitärischen Redneck-Eltern vor vielen Jahren bei einer Intervention des FBI getötet wurden hat sich das Virus bereits injiziert und hat seine Rachetournee bereits begonnen. Wird eine „gewöhnliche“ Kampfrüstung gegen den futuristischen Killervirus bestehen?

Mit dieser Storyline machte es sich der selbst ernannte Futurist, Warren Ellis, zum Ziel die Figur des Iron Man für die kommenden Jahre neu zu definieren und es ist ihm auf spektakuläre Weise gelungen. Die Neuorientierung von Tony Stark macht die Figur wesentlich interessanter, tiefgründiger und unberechenbarer. Die sehr philosophischen Gedankengänge über den Sinn und Unsinn des Fortschrittsglaubens, die Ellis in dieser Geschichte verarbeitet, machen „Extremis“ zu einer absoluten Pflichtlektüre für die sogenannten anspruchsvollen Leser.

Doch die Storyline war nicht nur inhaltlich ein Hochgenuss. Adi Granov ist gelungen, woran viele seiner Vorgänger gescheitert sind – er hat einerseits ein zeitloses Iron Man Design entworfen und anderseits bewiesen, dass ein photorealistischer Stil nicht unbedingt statisch sein muss. Sein Artwork ist schlichtweg atemberaubend und beinhaltet alle Elemente, die man sich von einem Star-Zeichner wünscht: Dynamik, Klarheit, Individualismus und Aussagekraft. Einen Haken hat das ganze schon – ein solcher Stil ist irrsinnig zeitaufwendig und so vergingen fast 15 Monate bis alle sechs Hefte veröffentlicht worden sind.

Ich hoffe, dass „Extremis“ Iron Man im selben Masse prägen wird, wie damals „The Dark Knight Returns“ Batman geprägt hat. Für mich ist diese Storyline ein Mainstream-Meisterwerk, welches bisher von Lesern und Kritikern viel zu wenig Beachtung erhalten hat.

10/10
Lamond