Wir sind Philos, Lamond und Seppstock. Hier findet ihr farbenfrohe Bilder, kleine Sprechblasen und unsere Meinung dazu.

Sonntag, Juli 16, 2006

Loveless: A Kin of Homecoming TPB 1 (LL)

Written by Brian Azzarello, pencils by Marcelo Frusin, inks by Marcelo Frusin, colors by Patricia Mulvihill (DC Comics/Vertigo). Deutsch: Keine Veröffentlichung.

SLUGFEST SUNDAY -LL VS PHILOS































Western-Comics sind nicht wirklich mein Metier. Abgesehen von ein paar „Jugendsünden“ und den Blueberry-Stories im alten Zack-Heft habe ich mich von diesem Metier ferngehalten, obwohl ich Western-Filme immer wieder gerne sehe. Wieso Loveless trotzdem in meinem Abo landen konnte? Durch die als Preview im Internet einzusehende Anfangssequenz, ihre Perspektiven und den Dialog, fühlte ich mich direkt in einen Sergio Leone-Western versetzt. Auch der ponchotragende Protagonist, erinnert in seiner Gestik nicht selten an Clint Eastwood in seiner Paraderolle als namenloser Revolverheld. Grund genug für mich, meine Fühler in fremdes Terrain auszustrecken und Loveless eine Chance zu geben.

Die Story spielt nach dem amerikanischen Bürgerkrieg in einem Südstaatenkaff namens Blackwater. Wes Cutter, ein ehemaliger Südstaaten-Soldat kehrt in dieses Nest und damit seine Heimat zurück und trifft auf alte Bekannte, die vielleicht einmal Freunde waren, es aber nicht mehr sind und Yankee-Soldaten, die sich auf seinem Land breit gemacht haben. Zusammen mit seiner Frau Ruth startet er einen Rache(?)feldzug, dessen genaue Motive und auch Ziele größtenteils noch im Dunkel bleiben. „Loveless“ ist genau die Vokabel, die die Beziehung aller Charaktere untereinander und die sich daraus entwickelnden Geschehnisse treffendst bezeichnet – nur das Verhältnis von Ruth und Wes bildet dabei scheinbar eine Ausnahme. Eine typische Westerngeschichte? Nicht mehr und nicht weniger? Nach dem ersten Lesen, kann dieser Eindruck vielleicht entstehen, aber Loveless ist ein Comic, für das man sich Zeit nehmen muss. Mit hastigem Überfliegen um die Story in sich aufzusaugen, kann man dieser nicht gerecht werden.

Zu wichtig sind die teilweise im Südstaatenslang gehaltenen und damit nicht immer leicht zu verstehenden Dialoge. Sie sind gespickt mit Anspielungen, die Hinweise auf Vergangenes enthalten, aber noch nicht allzu viel enthüllen. Autor Brian Azzarello nutzt sie, um die engen Verstrickungen und Verknüpfungen anzudeuten, die zwischen den Charakteren vorliegen, ihnen eine idividuelle Stimme zu geben und klar zu machen, hier geht es nicht um Gut oder Böse sondern nur noch darum, wer am Ende aufrecht stehen bleibt. Seine Charaktere sind von Krieg, Demütigungen, Hass und Niedertracht gekennzeichnet, nach einem strahlenden Helden sucht man vergebens und so bleibt dann als Identifikationsfigur zunächst nur Wes Cutter, der mit seinem zynischen Humor und seinen cleveren Schachzügen gegen Süd- und Nordstaatler gleichermaßen am ehesten so etwas wie Sympathie beim Leser wecken kann.

Zu gelungen ist auch das Artwork, angefangen beim Zeichner Marcelo Fruisin, dessen Perspektiven und Einstellungen wie oben schon erwähnt an das große Kino von Sergio Leone erinnern – extreme Nahaufnahmen, wechseln mit Weitwinkelperspektiven, schnelle Schnitte mit langsamen durch Azzarellos Dialog spannungsgeladenen Sequenzen. Die Charaktere obwohl fast alle bärtig, schmutzig und von Cowboyhüten beschattet sind individuell sehr gut erkennbar und auch die für mich ungewohnte Art, Flashbacks in die Handlung einzubinden, in dem an ein und demselben Ort spielende aktuelle Handlung und Vergangenheit in gemeinsamen Panels dargestellt werden, begeistert mich mit jedem Lesen mehr. Grandios finalisiert werden die Zeichnungen durch die meist in Erd- und Blautönen gehaltene Colorierung von Patricia Mulvihill, perfekt die triste Stimmung wiedergebend, der die ganze Story unterliegt. Ein Artwork, für das man Zeit braucht, das nicht nur einfach Beiwerk zur Erzählung darstellt sondern wert ist, dass das Auge länger darauf verweilt.

Loveless ist keine schnelle Kost für zwischendurch. Es ist ein Comic, das Muße erfordert, mit jedem Lesen an Intensität gewinnt und den Leser für seine Geduld mit einer vielschichtigen Story, starkem und stimmungsvollem Artwork sowie außergewöhnlichen Charakteren entschädigt.

9/10