Wir sind Philos, Lamond und Seppstock. Hier findet ihr farbenfrohe Bilder, kleine Sprechblasen und unsere Meinung dazu.

Sonntag, Oktober 22, 2006

Sentry: Reborn TPB

Written by Paul Jenkins, pencils by John Romita Jr. (Marvel).





























Meine grenzenlose Begeisterung für die gleichnamige erste Mini-Serie habe ich bereits in einer Review ausgedrückt. Die Art und Weise, wie dieser „neue“ Golden-Age-Charakter nachträglich in die Geschichte des Marvel Universums geretcont wurde, war ein Geniestreich, der eindrücklich unter Beweis stellte, dass das Ändern der Comic Continuity – sofern dies mit der nötigen Sorgfalt geschieht – nicht nur furchtbar unterhaltsam, sondern auch erschreckend glaubwürdig sein kann.

Nach seinem glorreichen Debüt wurde der Charakter allerdings wieder von den meisten Marvellesern vergessen, was in Anbetracht seines ersten Abenteuers, mehr als ironisch war. Sollte der „Golden Guardian of Good“ wirklich nur eine Eintagsfliege gewesen sein? Die Fans hatten sich beinahe damit abgefunden, als überraschenderweise Brian M. Bendis den Charakter für die Neuen Rächer aus der Versenkung holte und in das erlesene „All-Star“ Team integrierte. Doch so sehr ich mich über diese Entscheidung freute, hinterliess dieser kreative Schritt einen eher bitteren Nachgeschmack, denn um die Rückkehr des Sentry zu erklären, musste kräftig an der ohnehin schon komplexen Origin des Charakters rumgebastelt werden, was das New Avengers: Sentry TPB 2 dokumentiert. Als Marvel schliesslich noch eine neue Solo-Mini-Serie ankündigte, wurden auch die letzten Enthusiasten von Zweifeln geplagt – für ungefähr zwei Sekunden, denn solange dauerte es, bis das Kreativteam hinter dem ehrgeizigen Projekt bekannt gegeben wurde: Paul Jenkins und John Romita Jr.

Sentry ist ein Held. Er rettet die Welt immer wieder vor allen möglichen Gefahren, mögen es ausserirdische Invasionsversuche oder irdische Katastrophen sein. Doch gegen die grösste aller Bedrohungen ist er Machtlos – seine „zerbrechliche“ Identität. Aus therapeutischen Gründen lässt sich Sentry täglich auf eine verbale Konfrontation mit seinem anderen „Ich“, Void, ein. Als sein Antipode aber plötzlich beginnt, Drohungen gegen seine Ehefrau auszusprechen, wird die mentale Belastung zu gross und so entschliesst sich der „goldene Held“ professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, er geht fortan zum Psychiater.

Doch anstatt das Problem in den Griff zu bekommen, wird alles noch viel komplizierter, gefährlicher und unverständlicher. Die Beziehung zwischen Sentry und Lindy leidet dabei am stärksten und zwar nicht zuletzt deshalb, weil die geliebte Ehefrau sich nichts aus Bob Reynolds, der Geheimidentität Sentrys, macht. Im Gespräch mit dem Psychologen stellt sich schliesslich heraus, dass wesentlich mehr hinter der Existenz des Sentrys steckt. Eine dunkles Geheimnis, eine Verschwörung ein Chaos unübersichtlicher entstehungsgeschichtlicher Erinnerungsfetzen. Nichts ist wie es scheint, aber wie könnte es, schliesslich ist immer noch nicht klar wie die drei Persönlichkeiten, Sentry, Bob Reynolds und Void, zueinander stehen.

Das Risiko einer alles vernichtenden Identitätskrise wird von Minute zu Minute grösser und so sieht sich schliesslich sogar Dr. Strange – der mächtigste Zauberer des Marvel Universums – gezwungen einzugreifen. Doch auch er wird von der schieren Gewalt dieses unüberschaubaren Wirbelsturms an psychischer Zerrissenheit überwältigt. Ihm bleibt letztendlich keine Wahl, sodass er zu drastischen Mitteln greift um die Situation unter Kontrolle zu bekommen. Leider scheint auch das nicht zu helfen. Wird die Menschheit Sentrys bisher grössten Nervenzusammenbruch überleben?

Die Geschichte wird vom Autor in Fragen und Antworten gegliedert. In einer Ausgabe stellt er eine Frage, die er dann in der nächsten zu beantworten versucht, was wiederum zu einer neuen Frage führt. Während jeweils die Fragestellung sehr interessant ist und für die nötige Spannung und Unterhaltung sorgt, verursachen die völlig undurchdachten Antworten dann lediglich Verwirrung und Frustration. Meiner Meinung nach beging Jenkins, in dem er sich auf eine profunde Psychoanalyse der Figur konzentrierte, einen gewaltigen Fehler. Wieso? Weil gerade er wissen müsste, dass die Faszination des Sentry – ähnlich wie früher bei Wolverine - von den ungelösten Mysterien und Erinnerungslücken ausgeht. Man kann in diesem Fall beinahe von Glück sprechen, denn Jenkins psychoanalytische „Masturbation“ hat kaum klare Antworten oder handfeste Fakten zur Folge, sodass auch der aufmerksamste Leser nach der Lektüre kaum mehr wissen wird als vorher.

Mal abgesehen vom wagen Konzept und den genannten Schwächen, fehlt es dem Comic nicht an Unterhaltungswert. Jenkins baut – entgegen dem Gerücht er sei ein chronischer Langweiler – sehr viel Spannung auf und überrascht den Leser nicht selten mit emotional überwältigenden Szenen. Dabei steht vor allem die ganz besondere Beziehung des Sentry mit dem Hulk im Vordergrund, die – wie schon in der der ersten Mini-Serie – niemanden kalt lassen dürfte.

Kommen wir aber nun zum absoluten Höhe – und zum eindeutigsten Pluspunkt von „Sentry: Reborn TPB“, dem Zeichner. John Romita Jr. beweist wieder einmal, dass er jede Comic-Figur graphisch bereichern kann. Dass er eine unvergleichliche Dynamik in die Bilder einfliessen lässt, dürfte mittlerweile allen bekannt sein. Auch die klaren Striche und die unvergleichlichen Perspektiven sind seit Jahren Teil seines zeichnerischen Repertoires. Doch sein grösstes Talent ist meiner Meinung die Fähigkeit wesentlich zum Storytelling beizutragen. Als Autor könnte man vollends auf Dialog verzichten und man würde die Geschichte dennoch ohne Problem verstehen und vor allem geniessen. Meiner Meinung legt er hier seine bisher beste Arbeit vor.

Insgesamt handelt es sich um einen zufrieden stellenden Comic, der zwar inhaltlich nicht mal ansatzweise an seinen Vorgänger heranreicht und beinahe den Mythos um den Sentry vernichtet, aber dennoch stark zu unterhalten weiss. Als Fan des Charakters ist die Lektüre natürlich ein Muss, aber all jene, welche schon die Sentry - Storyline in New Avengers als zu kompliziert und eher langweilig empfanden, sollten die Finger davon lassen, obwohl das Artwork einen kauf beinahe alleine rechtfertigen würde.

6.5/10
Lamond
Review zu The Sentry TPB von Lamond.