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Sonntag, Dezember 03, 2006

Joey und die Wächter der Nacht

von Christian Endres

Autor: Mike Bullock; Zeichnungen: Jack Lawrence; Ehapa Comic Collection, November 2006, Softcover, 112 Seiten, Euro 10,- ISBN: 3770465032, enthält US Tiger, Lions and Bears TPB (Vol. 1: Fear and Pride).

Herzlich willkommen zur ersten Ausgabe von Jack’s Pumpkin Pie, der neuen, regelmäßig-unregelmäßigen Rezensions-Kolumne auf supercomics.blogspot.com. Die Premierengäste heute: Ein kleiner Junge namens Joey, ein paar vermeintlich harmlose Stofftiere, ein Haufen ziemlich garstiger Monster, eine Empfehlung von Mike Wieringo, ein Namensvetter unter den Kreativen und – natürlich! – eine Lektion über die grenzenlose Macht der Phantasie ...

Bevor wir gleich die Gläser zum Toast heben, uns wie eine Herde blökender Gnus zum Wasserloch in Richtung Aftershowparty und Buffet schieben und, so ganz nebenbei, auch noch diesen quietschbunten Comic aus dem Hause Ehapa unter die Lupe nehmen, zur Einstimmung hier erst einmal der Klappentext zu »Joey und die Wächter der Nacht« (im Original übrigens »Tigers, Lions und Bears« und dort so erfolgreich, dass die Hefte stets rasend schnell ausverkauft waren):

»Sei tapfer, kleiner Löwe ... Es gibt nichts Größeres oder Fantastischeres als die Vorstellungskraft eines Kindes. Doch kann diese Gabe mitunter dazu führen, dass einem – besonders nachts – die Dinge außerhalb der eigenen vier Bettpfosten eher bedrohlich als fantastisch erscheinen. Und manchmal ist man damit gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt ... Zum Glück für den kleinen Joey hat seine Großmutter die Gefahr erkannt und so schenkt sie ihrem Lieblingsenkel die stolzen »Wächter der Nacht«: kuschligwuschlig bei Tag, kriegerisch und mächtig des Nachts. Jetzt soll sich noch mal irgendeine Bestie in Joeys Nähe wagen!«

Joey ist nicht sonderlich glücklich: Seine Mom hat einen neuen Job, und das bedeutet, dass die beiden umziehen müssen – weg von Joeys Freunden am Ende der Straße, weg von seinem Baumhaus und vor allem weg von seiner Großmutter, die alle anderen für ein bisschen schrullig halten, für Joey jedoch ein wichtiger Bezugspunkt in seinem jungen Leben ist. Außerdem ist seine Grandma eine der wenigen erwachsenen Personen, die noch an Magie und die Kraft der Phantasie glauben – weshalb sie ihrem Enkel als kleine Aufmunterung vor dem traurigen Abschied auch vier Stofftiere schenkt, die so genannten Wächter der Nacht. Natürlich verrät seine Oma dem kleinen Joey auch das Geheimnis dieser so harmlos aussehenden Plüschraubkatzen und enthüllt ihm, dass diese vier des Nächtens fortan über ihn und sein Bett wachen und den ängstlichen Jungen vor allen bösen Monstern beschützen werden, die in der Dunkelheit jenseits seiner Bettpfoten lauern ...

Und tatsächlich: Als Joey gleich in der ersten Nacht in seinem neuen Zuhause Gefahr droht, sind die vier rund um das Bett verteilten Wächter zur Stelle und verwehren den Bestien den Zutritt zu Joeys Zimmer. Doch auch Löwe Pallo, der Anführer des stolzen Plüsch-Quartetts, Pantherin Minerva, Zynikerin durch und durch, Tigerin Venus, Minervas gemäßigterer Gegenpart, und der heldenhafte weiße Tiger Ares können nicht verhindern, dass Joey in der darauf folgenden Nacht in den Kampf zwischen den guten Plüschtieren und den fiesen Monstern hineingezogen wird. Plötzlich findet der Junge sich im magischen Reich der Phantasie wieder, das von den lebendig gewordenen Versionen unzähliger Stofftiere, aber eben auch den bösen Bestien besiedelt ist, die dort in einem ständigen Krieg leben und einander bekämpfen.

Um den kleinen Joey wieder nach Hause zu bringen, suchen die Wächter der Nacht Rat bei ihrem weisen Monarchen, König Bär. Dieser wiederum weiß dann ferner sogar zu berichten, dass Joey der Schlüssel zum endgültigen Sieg über die Bestien und sein Schicksal obendrein unweigerlich mit dem der kleinen Courtney verknüpft ist – welche im Übrigen die Tochter just jenes Spielzeugmachers ist, der allen Plüschtieren zu Anfang erst Leben, erst Magie eingehaucht hat.

Fast zeitgleich gelingt es den Monstern, Courtney aus ihrem Bett zu entführen, und so muss Joey all seinen Mut aufbringen und seine persönlichen Interessen vorerst hinten anstellen, um stattdessen mit seinen neuen Freunden die Verfolgung aufzunehmen. Als im Anschluss an einen harten, grimmig geführten Kampf im Geisterwald dann auch noch die vier Wächterkatzen schwer verwundet werden, scheint es allerdings kaum noch Hoffnung für die beiden Kinder und die gutmütigen Plüschwesen zu geben und ein Triumph der widerlichen Bestien unausweichlich – es sei denn, Joey besinnt sich der Macht der Phantasie und eines mutigen Herzens ...

Mike Bullocks Geschichte ist nicht nur von einer für Märchen typischen Symbolik und Struktur geprägt, sondern versteht sich zweifellos auch als ein modernes, poppiges Märchen und weist entsprechende Parallelen auf. Wie in seinen traditionellen Vorläufern werden schließlich auch in »Joey und die Wächter der Nacht« eherne Werte wie Mut, Tapferkeit, Freundschaft und Loyalität propagiert und dem Leser eingeschärft, unbedingt an die eigenen Fähigkeiten zu glauben. Und ebenfalls recht typisch: Im Laufe der Geschichte muss ein kleiner Junge erkennen, dass er all diese Werte nicht nur verborgen in sich trägt, sondern dass er sie auch nutzen kann, wenn er nur fest genug an sich glaubt – und wenn er selbst und seine Freunde in großer Gefahr sind und der junge Held im Angesicht der Ausweglosigkeit nur noch auf seine Fähigkeiten vertrauen kann. Zweifellos eine nette Moral, die Bullock hier untergebracht hat, und die auch jüngere Leser schnell annehmen dürften, zumal recht witzige Szenen – wie die altbekannten, kitschigen Wortgefechte in den Reihen der ewig zerstrittenen Bösewichter – zwischendurch immer wieder zum Schmunzeln anregen und die Geschichte auflockern, während auch die Action nicht zu kurz kommt, wenn sich die Wächter der Nacht oder die Geister der gefallenen Plüschbären etwa gegen die bösen Monster in die Schlacht werfen.

Der oben beschriebenen Hauptstory folgt eine kleine Kurzgeschichte, die ursprünglich in einer amerikanischen Zeitung erschienen ist - und der man ihren episodenhaften Charakter durchaus anmerkt. So sind die paar Seiten dann auch nicht mehr denn nettes Beiwerk, das man zwar gerne mitnimmt und durchaus lesen kann, das der eigentlichen Story aber nicht mehr sonderlich viel oder dem Leser gar neue Erkenntnisse bringt.

Jack Lawrence’ Artwork lässt einen von der ersten Seite an glauben, in einem Animations- oder Zeichentrickfilm jüngeren Datums gelandet zu sein – und da die Story zumindest in den Grundzügen bzw. Teilen ihrer Optik oder in Bezug auf die tierischen Hauptfiguren gewisse Parallelen zu Disney-Klassikern wie der Verfilmung von Lewis Carrolls Alice im Wunderland oder dem König der Löwen an den Tag legt, ist das an und für sich gar keine so schlechte Sache. Lawrences Artwork passt, so ungewohnt cartoonhaft es auf den ersten Blick auch erscheint, zu Bullocks flotter Geschichte, obwohl es mir – nicht zuletzt wegen der sehr intensiven, bunten Computer-Kolorierung, dem verschwenderischen Einsatz von »Photoshop-Effekten« und manch einem Panel, dessen Hintergrund dort nachträglich auch deutlich zu stark weichgezeichnet worden ist – an einigen Stellen einfach zu glatt und unnahbar erscheint. Man muss gelegentlich richtig an sich halten, um nicht zu schnell über die weichen Bilder mit ihren geglätteten »Kanten« hinwegzusehen, die mit Licht- und Glanzeffekten zwar nicht geizen, damit aber keine echten, griffigen Bezugspunkte für das Auge schaffen. Dennoch muss man dem Artwork zu Gute halten, dass es im absoluten Einklang mit dem Anspruch der Story steht – also dem Anspruch eines peppigen, zeitgemäßen Märchens, das Jung und Alt für ein paar Minuten puren, leichten Lesevergnügens aus dem Alltag reißt. Im Endeffekt bleibt somit ein nettes, an den Animationsfilm angelehntes Artwork (das natürlich die ideale Grundlage für eine Verfilmung bietet, die angeblich schon in Planung ist) für ein recht breites Publikum, das nun aber nicht zwingend als Beispiel makellos-traditionalistischer Zeichenkunst in die Geschichte der Comic-Literatur eingehen wird.

Das 112 Seiten starke Softcover im US-Format beinhaltet neben einem sympathisch geschriebenen Vorwort der beiden Künstler auch eine Hand voll ganzseitiger Pin-Ups von Jack Lawrence, aber auch einigen anderen mehr oder minder bekannten Zeichnern (wie z. B. Luke Ross oder Todd Nauck). Und wenn manche Textboxen und Sprechblasen auch ein bisschen eng und dadurch schwer zu lesen sind – gerade, wenn sich die Bestien in der ihnen zugewiesenen Schrift »unterhalten« –, überzeugt der Sammelband vor allem durch sein wirklich faires, sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Natürlich lässt sich dieser Preis womöglich dadurch erklären, dass »Joey und die Wächter der Nacht« irgendwo auch ein Comic ist, der problemlos eine jüngere Käufergruppe ansprechen kann, doch ist es so oder so ein tolles Gefühl, mal wieder einen Comicband sehen und ferner auch erstehen zu können, den man sich auch ohne schlechtes Gewissen einfach mal zwischendurch leisten und als Spontankauf im Comicladen mitnehmen kann.

Fazit: Joey und seine wachsamen Stofftiere, die im rechten Moment stets die Krallen ausfahren, hatten es nicht leicht in den letzten Monaten: Ein Rechtstreit hat die Serie immer wieder gebeutelt und so unter anderem auch Einfluss auf die deutsche Veröffentlichung des Sammelbandes genommen, der eigentlich schon im Frühsommer diesen Jahres hätte erscheinen sollen. Das lange Warten hat sich aber gelohnt. Zwar krankt die Geschichte manchmal ein bisschen daran, dass sie das Spagat zwischen Jugend- bzw. Erwachsenenunterhaltung nicht ganz schafft und dem erfahrenen Leser stellenweise dann doch etwas naiv, kitschig oder stereotyp erscheint, doch hat der Comic in der Summe durchaus Spaß gemacht und seinen ganz eigenen, nostalgisch-naiven Charme.

Mike Wieringo, um das vielleicht noch einmal aufzugreifen, hat am Ende also wirklich nicht zu viel versprochen und mit der Empfehlung ein glückliches Händchen bewiesen – und so gibt es nicht zuletzt Dank des wirklich guten Preis-Leistungs-Verhältnisses, der alles in allem ganz soliden und vor allem kurzweiligen Story und selbstverständlich auch des hübschen, wenn auch ab und an ein wenig zu glatten und weichgezeichneten Artworks immer noch respektable sechseinhalb Kürbisse von möglichen zehn für Joey und all die Tiger, Löwen und Bären in seinem Gefolge – jeweils mit Tendenz nach oben. Roar!

6,5/10
Christian Endres

Jack’s Pumpkin Pie – Introducing First ...

Wer im Dschungel unterwegs ist, der freut sich in der Regel wie ein Schneekönig, wenn er in seinem Gepäck unter krümelig-leeren Keksdosen und staubig-trockenen Wasserflaschen eine Karte der Gegend findet. Manchmal freut sich der abenteuerlustige Urwald-Reisende aber auch schon einfach nur darüber, keinem Tiger zu begegnen und nicht als proteinreiches Abendessen zu enden. Beides läuft Letztlich auf Folgendes hinaus: Am Ende zählt, den Dschungel zu durchqueren und wohlbehalten auf der anderen Seite anzukommen. Oder?

Nun, nicht ganz. Die Leidenschaft, die mit dem Lesen und Sammeln von Comics einher geht, ist im Grunde nichts anderes als ein gewundener Pfad durch einen dichten Urwald, jedes Genre eine eigene Region, jedes Heft oder Trade oder Album oder Taschenbuch eine mehr oder weniger verlockende Abzweigung. Ab und an findet man so paradiesische Täler oder Oasen voll künstlerischer Wonnen und Ekstasen – manchmal aber eben auch einfach nur enttäuschende, dornenreiche Sackgassen und überwucherte Irrwege voll ekeliger Spinnen (in neuen wie in alten Kostümen) und giftiger Schlangen (Brian M. Bendis).

Doch wie auf jeder Reise sammelt man so oder so fortwährend Erfahrungen und wird von Biegung zu Biegung, von Abzweigung zu Abzweigung reifer und – vermeintlich – klüger. Man hofft, irgendwann schon von Weitem zu erkennen, welche Abzweigungen wohin führen, welchen Wegen sich zu folgen lohnt und um welche Pfade man besser einen großen Bogen macht, damit die Reise nicht unnötig aufgehalten oder man gar zurückgeworfen wird.

Begonnen hat diese Reise nun irgendwann vor fünfzehn Jahren mit Condor und kleinen, bunten, oftmals recht holprig übersetzten Taschenbüchern aus dem Schreibwarenladen – wo sie enden wird, das steht in den Sternen und ist so ungewiss wie der Ausgang eines Boxkampfes unter den Augen und dem Regime der Boxkommission von Nevada.

Wenn ich genau darüber nachdenke, dann spielt es allerdings auch gar keine Rolle, wo sie enden wird – der Weg ist das Ziel, und so. Vor allem kommt es darauf an, das Beste aus dieser Reise zu machen, für sich selbst das Optimum herauszuholen und an Erfahrungen und schönen, erinnerungswürdigen Stunden mitzunehmen, was man nur kann.

Fortan wird es Euch vergönnt sein, neben meinem Alten Ego mit dem feurig-leuchtenden Kürbiskopf herzugehen und dem verschlungenen Pfad zu folgen, der dieser Reise zu Grunde liegt. Wir werden wahrscheinlich einen Bogen um die meisten der allmonatlichen Superhelden-Hefte machen, selten bis kaum im Indy-Bereich wildern und uns dennoch ganz der Maxime verschreiben, die den dichten Amazonas-Regenwald genauso beherrscht wie den üppigen Comic-Dschungel: Vielfalt.

Bestimmt lauert der ein oder andere Klassiker im Unterholz, während kleine Perlen des Mediums wie Paradiesvögel in weiter Ferne über das Blau des Himmels gleiten, und sicherlich wird sich uns auch die ein oder andere Neuerscheinung zeigen und um unsere Meinung bitten. Lasst Euch einfach guten Gewissens von der Laterne – und dem Kürbis – führen.

Karte haben wir im Übrigen keine dabei. Doch keine Panik: Wenn wir wider Erwarten tatsächlich einem Tiger begegnen sollten, dann bestechen wir ihn einfach mit einem Thunfisch-Sandwich.

Have fun, Folks.

#001 - Joey und die Wächter der Nacht
#002 - Okko: Das Buch des Wassers

Christian Endres