Wir sind Philos, Lamond und Seppstock. Hier findet ihr farbenfrohe Bilder, kleine Sprechblasen und unsere Meinung dazu.

Mittwoch, Januar 24, 2007

The Marvel Legacy #004: Civil War - Who's side are you on

Eine monatliche Rundschau von Marvel-Reporter Henning Mehrtens a.k.a. Legacy.
„Nichts ist weder gut noch böse. Das Denken macht es erst dazu.”
Hamlet, William Shakespeare
Rien ne va plus! Alea jacta sum! Das Gesetz ist verabschiedet und die Grenze zwischen Held und Verbrecher zieht nun einen klar definierten Strich durch die Gemeinschaft der Superwesen. Jeder, der sich nicht registrieren lässt, wird unabdingbar verfolgt. Die Zeit ist gekommen, sich die Frage zu stellen, auf welcher Seite man stehen möchte, bzw. stehen muss, wenn man seine Ideale verteidigen will. Was ist richtig? Dem Gesetz zu folgen, oder dem Herzen? Dem Verstand, der Dir sagt, dass ein kontrollierter Haufen auf Erden wandelnder Atombomben etwas Gutes ist und mehr Sicherheit verspricht... oder der Stimme in Dir, die ununterbrochen diktiert, dass es nicht richtig ist, seine Freiheit zu opfern? Auf welcher Seite stehst Du?

Kleine Fische im Becken voller Haie

Mit Schlag Mitternacht wird diese Frage zur existenziellsten im Marvel Universum seit dem Philosophieren über das „Wer bin ich?“ und einige Helden gehen das Risiko ein, von nun an als Verbrecher angesehen zu werden.

So zum Beispiel die Young Avengers, welche die knallharte Politik als eine der ersten am eigenen Leib zu spüren bekommen. Die Regierung möchte ein weiteres Debakel mit jugendlichen Helden wie in Stamford mit den New Warriors im Keim ersticken und die Jungs und Mädels unter ihre Fittiche bekommen. Gerade Freigeist und Captain America-Anhänger Patriot ist selbstredend gegen diese Doktrin. S.H.I.E.L.D. ist allerdings zahlen- und kräftemäßig überlegen und inhaftiert die Gruppe rebellischer Jugendlicher nach nur einem kurzen Handgemenge.

Jemand, der kein Problem damit hat, sich hinter das Gesetz zu stellen, ist Wade T. Wilson, besser bekannt als „Merc With a Mouth“ Deadpool. Im Gegenteil... Leuten auf die Umme zu geben ( und das legal ) ist genau sein Ding. Um seinen guten Willen zu beweisen, versucht er sich im Stellen der Great Lake Avengers, oder G.L.X., oder wie sie sich aktuell nennen, Great Lake Champions. Leider hat er den Kampfgeist der Gruppe, insbesondere ihres Mitgliedes Squirrel Girl arg unterschätzt und baumelt bald als Präsent am Laternenmast. Die Aktion ruft allerdings tatsächlich die Commision On Superhero Activities auf den Plan und es stellt sich heraus, dass die GLC bereits registriert sind und Deadpool aufs falsche Pferd gewettet hatte. Der Schlagkraft und Motivation des gedemütigten Söldners wird aber umgehend Rechnung gezollt und Deadpool in den Dienst der Registrierung verpflichtet, was ihm sichtlich Vergnügen bereitet.

Während des Gefangentransportes der Young Avengers gibt es derweil einige Komplikationen, in Form von Undercover-Agenten der „Anti-Registrierungsseite“. Steve Rogers und Sam Wilson persönlich haben sich als S.H.I.E.L.D.-Agenten getarnt und können den Transport vereiteln. Im geheimen HQ der (sogenannten) „Secret Avengers“ werden sie und ihre neuen Rekruten bereits von anderen Helden empfangen, die sich auf die Seite von Captain America geschlagen haben, u.a. Cloak & Dagger, Luke Cage, Night Nurse, Cable und Goliath.

In dieser Nacht besucht Ben Grimm die Yancy Street. Er braucht Abstand von dem ganzen Trubel und will seinen Kopf frei bekommen. Johnny Storm liegt noch immer schwer verletzt im Krankenhaus und Ben stellt sich die Frage, wo sein Platz in diesem Schachzug der Regierung und seines besten Freundes Reed ist. Natürlich trifft er auf die Yancy Street Gang, die seinen Zweifeln am richtigen Handeln Reeds neues Feuer geben.

Ms. Marvel, Verbündete von Tony und auf ihrer eigenen kleinen Mission, die größte Superheldin aller Zeiten zu werden, scheint sich mit der Registrierung angefreundet zu haben. Als ehemalige Soldatin kann sie nun wieder in einen Krieg ziehen, der klar definierte Feindbilder hat. Auch ein Gespräch in der letzten Nacht mit Captain America, der versuchte, sie auf seine Seite zu ziehen hat dem kein Abbruch verschafft. Sie weiß das Gesetz hinter sich und legitimiert damit den Übergriff auf Prowler, der schnell in ihrem Gewahrsam landet.

Einen ungebetenen Besuch bekommt auch Jessica Drew, Spider-Woman. Nachdem sie im Fernsehen den Bericht über den Inhaftierungsversuch von Luke Cage verfolgt hat, klopft Nick Fury an ihre Tür. Allerdings ist es nicht ihr leibhaftiger Ansprechpartner in ihrem momentanen Dreifrontenspionagemaulwurfsspielchen zwischen S.H.I.E.L.D., Hydra und den mittlerweile getrennt agierenden New Avengers, sondern nur ein LMD, kontrolliert von Maria Hill, der Directorin von S.H.I.E.L.D. persönlich. Jessica wird gefangen genommen und von Maria und Iron Man mit ihrem Dreifach-Spiel konfrontiert. Sie wird als Verräter gebranntmarkt und muss Konsequenzen fürchten. Kurz darauf gehen im Helicarrier die Lichter aus und HYDRA greift an.

Firestar Angelica Jones hingegen resigniert. Als ehemaliges Mitglied der momentan in Unbill geratenen New Warriors macht sie sich Sorgen um ihre Familie und ihre Zukunft als Studentin. Sie mag ihr bisheriges, beschauliches Privatleben, in welches sie sich zurückziehen kann und diesen Preis möchte sie nicht bezahlen. In einem Gespräch mit der Reporterin Sally Floyd wird ihr das nochmals deutlich und sie beschließt ihr Kostüm an den Nagel zu hängen.

Ein anderer ehemaliger New Warrior hat hingegen überhaupt keine Chance, frei zu wählen, auf welcher Seite er stehen will, oder ob er sein Kostüm aufgibt. Er sitzt im Gefängnis und muss sich seinem „Verbrechen“ stellen, an dem Stamford-Massaker beteiligt gewesen zu sein: Robert Baldwin, Speedball. Eric Marshall, S.H.I.E.L.D.-Beauftragter versucht ihn zur Registrierung zu zwingen, doch Baldwin bleibt standhaft und besteht auf einen Anwalt. Marshall macht schnell deutlich, dass er als unregistrierter „Staatsfeind“ keine Rechte mehr hat und lässt ihn in einen anderen Gefängnistrakt transportieren, wo er von den anderen Häftlingen schon als „Kindermörder“ brutal in Empfang genommen wird.

Die Ruhe vor dem Sturm

Tony Stark, Reed Richards und Henry Pym sind auf der ständigen Suche nach Verbündeten und auf Werbecampagne für ihre Sache.

Westchester. Tony Stark ist Gast von Emma Frost bei den X-Men, die sich entschieden für eine neutrale Rolle im Superheldenkonflikt aussprechen. Die Aufmerksamkeit und Aggression gegenüber Mutanten ist durch den Konflikt etwas entschärft und das begrüßt die Schulleiterin, deren Zuhause seit dem M-Day die einzige Zuflucht für die verbliebenen Mutanten der ganzen Welt darstellt. Ausserdem ist ein Großteil der X-Men überhaupt nicht anwesend. [siehe ML#007: Meanwhile At The X-Mansion]. Allerdings wird Bishop hellhörig und verlangt ein Gespräch mit Tony.

Wakanda. Reed Richards sucht T´Challa auf. Er versucht, den Verbündeten der Fantastischen Vier von den Vorteilen der Registerung zu überzeugen und ihn auf seine Seite zu holen. Der Präsident persönlich wäre sehr erfreut über die Teilnahme vom Black Panther am der 50 State Initiative... eine Superhelden-Polizei-Einheit, die in den gesamten USA für Recht und Ordnung sorgen sollen. T´Challa lehnt entschieden ab, und gibt Reed den dringenden Rat, sich mehr um seine Frau zu kümmern, als um ein Gesetz, welches Brüder entzweit.

New York. Wonder-Man, Ms. Marvel und Julia Carpenter, die sich mittlerweile Arachne nennt, werden von Tony Stark gebrieft. Sie sollen sich um ein Mädchen mit Superkräften kümmern und sie trainieren: Arana.

Greenwich Village. Henry Pym versucht Dr. Strange zu kontaktieren, wird aber von Wong darauf hingewiesen, dass der Doktor momentan keine Sprechstunde geben kann. Er weilt meditierend in der Arktis.

Aufstellung der Figuren

Auftritt: Thunderbolts. Unter der Führung von Baron Zemo wird die ehemalige Ansammlung von Superschurken, welche sich nun rehabilitiert zu haben scheinen, von Henry Gyrich empfangen. Der Abgesandte der Commision On Superhuman Activities hat ein Treffen mit Tony Stark, Reed Richards und Henry Pym arrangiert. Zemo bekommt von den 3 Leitfiguren der Registrierung den Auftrag, Superschurken zu jagen und sie zu rekrutieren.
Ein Plan, den Zemo insgeheim schon verfolgt hat... nach der Zwangsrekrutierung von drei Beetle-Rüstungsträgern offenbart er seiner Kollegin Songbird eine enorme Superschurkenarmee.

[Scheinbar fungiert hier das Prinzip: Halte Dir Deine Feinde näher als Deine Freunde. Tony Stark holt sich die Ratte ans Bord und gibt Zemo quasi einen Freibrief, seine Privatarmee aufzustocken. In wie weit Zemo tatsächlich geläutert ist oder ob dieses Bündnis zum Scheitern verurteilt ist, zeigt die Zukunft. Jedenfalls macht diese Aktion deutlich, dass Tony Stark vor keinen Mitteln zurückschreckt, um an das Ziel zu kommen, alle Helden zu registrieren oder zu inhaftieren.]

Nach diesem Credo „Takes a thief to catch a thief!“ geht auch Deadpool voll in seiner neuen Rolle als Flüchtlingsjäger auf. Er belauscht ein Gespräch zwischen Captain America und Cable, der den „Secret Avengers“ neue Identitäten verschafft hat, mit denen sie sich ungehindert in einem neuen Privatleben bewegen können.

Spider-Woman Jessica Drew erwacht derweil auf Hydra-Island. Ihr Kontaktmann Connelly empfängt sie und lädt sie ein, sich endgültig zu HYDRA zu bekennen und Teil der Führungsspitze zu werden. Jessica sieht sich nun endültig gezwungen, eine Seite für sich zu wählen. Sie überwältigt ihren Entführer und flüchtet wieder Richtung New York. S.H.I.E.L.D. und Maria Hill trauen ihr nicht mehr, HYDRA kommt nicht in Frage. Sie hat also keinen anderen Ort, den sie aufsuchen kann, als das HQ der Secret Avengers.

Während Carol Danvers und Simon Williams ersten Kontakt zu Arana in ihrer zivilen Persönlichkeit als Fast Food Angestellte Anya Corazon herstellen, sucht eine weitere Spinnenfrau namens Arachne derweil die Zuneigung ihres Liebhabers Maximilian Coleridge, auch bekannt als The Shroud. Sie schwankt zwischen ihrer Loyalität zu Tony und den Rächern und ihrer Liebe zu dem flüchtigen Max. Bevor sie sich überhaupt zwischen diesen beiden Tugenden entscheiden kann, stürmt S.H.I.E.L.D. die Stätte und zwingt Julia zur Flucht mit dem Mann an ihrer Seite.

Deadpool schleicht in das HQ der Secret Avengers, Baron Zemo lächelt bei dem Anblick seiner Superschurken-Armee, Bishop trifft sich mit Valerie Cooper, General Lazer vom Sentinel Squad O*N*E und Tony Stark zur Einsatzbesprechung über die Mutantenfrage, Wolverine steht in den Trümmern von Stamford und nimmt die Witterung von Nitro auf, Peter Parker betrachtet sein Gesicht im Spiegel mit seiner Maske in der Hand und fernab aller Sorgen freuen sich Ororo Monroe und T´Challa auf ihre bevorstehende Hochzeit.

Anmerkungen des Redakteurs:

Diese Phase des CIVIL WAR ist eine reine Schacheröffnung. Alle Figuren werden positioniert, in dem sie gezwungen werden, sich auf eine Seite zu schlagen. Der neue Status Quo des Marvel-Universums ist errichtet und nun stellt sich für alle Beteiligten die Frage:“Ob ihr wirklich richtig steht, seht ihr, wenn das Licht angeht!“

Gibt es überhaupt ein richtig oder falsch? Ein schwarz oder ein weiß?
Die Regierung verabschiedet ein Gesetz. Ist es nicht genauso falsch, es blindlings zu befolgen, als es zu hinterfragen. Wenn das Gesetz aber Menschen mit übernatürlichen Kräften zum Inhalt hat, werden die Demonstrationen nicht gerade ruhig ablaufen.

Ziehen wir Bilanz.

Da haben wir auf der einen Seite, die Helden, die sich für die Registrierung aussprechen und ihr mit vollster Überzeugung folgen:

- Iron Man (Redeführer und Drahtzieher)
- Mr. Fantastic
- Dr. Henry Pym
- Wonder Man
- Spider-Man
- Ms. Marvel
- She-Hulk
- Wasp
- Tigra
- Doc Samson
- Deadpool
- Bishop
- Great Lake Avengers / Great Lake Champions
- Thunderbolts

Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die sich offen gegen die Registrierung gestellt haben:

- Captain America
- Luke Cage
- Spider-Woman
- Young Avengers
- Cloak & Dagger
- Cable
- Falcon
- Daredevil
- Goliath
- Hercules
- Prowler
- Shroud
- Black Panther
- Prodigy
- Speedball
- Arachne (gezwungen)
- Firestar (gibt ihre Zweitidentität auf)

Zwischen den eindeutig bezogenen Positionen gibt es wie überall Zweifel und Grautöne. Superhelden, die sich ihrer Sache nicht sicher sind und bislang noch keine Stellungnahme abgegeben haben.

- Invisible Woman
- The Thing
- Human Torch
- X-Men
- Dr. Strange

Was den CIVIL WAR so interessant macht, ist die Tatsache, dass durch ein klares Edikt der Regierung die Superhelden auf zwei Seiten begeben und erstmals politisch motivierte Ziele haben, die sie gegenüberstellen.

Der Vigilant stellt sich nun nicht mehr nur übers Gesetz, er stellt sich ihm entgegen. Das verschärft sowohl die Atmosphäre der gesamten Superheldengemeinschaft, sondern auf das Klima der „normalen“ Bevölkerung, denen nun suggeriert wird, dass diejenigen, die ihre Leben aufs Spiel setzten, um alles zu geben, zu helfen und zu retten, nun Verbrecher sind, die fast nachdrücklicher verfolgt werden, als Superschurken vor dem CIVIL WAR.

Denn das muß man sich auch vor Augen halten. Bislang war der Großteil der Helden reaktiv veranlagt. Eine Gefahr musste sich erst als solche ausmachen, bevor sie bekämpft wurde.Der Himmel musste sich erst verdunkeln, bevor die Avengers ihre Taschenlampen hervorkramten.

Diese „passive“ Rolle der Notruferwartung ist nun von Seiten der Regierung einer „aktiven“ Rolle der Intervention gewichen. Vormals wurden Schurken bekämpft, die ihre Bedrohung ankündigten, heute werden Helden gejagt, weil sie sich gegen das Gesetz stellen. Nur sehr wenige Helden haben in ihrer Laufbahn die Jagd zum Ziel ihrer Motivation erklärt und sehen sich nun als Jäger oder Gejagte.

Und wieder ist die Frage immanent: Auf welcher Seite stehst Du? Zweifelsohne auf der richtigen, wenn Du Deinem Herzen oder Verstand folgst. Aber wer entscheidet, welche Seite recht hat. Ein freiheitsraubendes Gesetz oder freiheitskämpfende Staatsfeinde?
Die nächsten Monate versprechen Antworten und weitere Fragen...

Stay tuned!

Quellenverzeichnis:

CIVIL WAR # 2 / 7
CIVIL WAR # 3 / 7
CIVIL WAR: FRONT LINE # 02 / 11
FANTASTIC FOUR # 538
NEW AVENGERS # 023
MS. MARVEL [vol.2] # 006
CABLE & DEADPOOL # 030
CIVIL WAR : X-MEN # 1 / 4
THUNDERBOLTS # 103

Henning Mehrtens, a.k.a. Legacy

Sonntag, Januar 21, 2007

Der Turm

Die Reise zum Ich - Ein Kommentar zu „Der Turm“

Der Turm (orig. Les cités obscures: La tour), Text: Benoît Peeters, Zeichnungen: Francois Schuiten, Reiner Feest Verlag, Softcover, 96 Seiten, ISBN: 3-89343-152-7.

In einer Deutscharbeit würde unter diesem Text stehen „Thema verfehlt“. Warum? Nun, eigentlich sollte hier an dieser Stelle eine Text zu Mike Allred und seinen Werken stehen, aber wie das Leben so spielt, kam mir etwas dazwischen.

Aus einer Laune heraus erstand ich kurz nach Weihnachten den Band „Der Turm“ (Feest Verlag) von dem belgischen Zeichner Francois Schuiten und dem in Frankreich geborenen, aber bereits seit 1978 in Belgien lebenden Benoit Peeters, eine Geschichte aus deren Reihe „Die geheimnisvollen Städte“. Ich hatte zuvor weder etwas aus dieser Reihe, noch überhaupt etwas von Schuiten und/oder Peters gelesen, aber bereits viel von den „Geheimnisvollen Städten“ gehört. Besonders „Der Turm“ wurde mir immer wieder an Herz gelegt... und das nicht ohne Grund...

Giovanni Battista (benannt nach Schuitens Vorbild Giovanni Battista Piranesis) ist Instandhalter in einem Bezirk des Turms. Er trägt Sorge dafür, dass sein Bereich intakt bleibt und nicht verkommt. Eine harte und einsame, aber notwendige Aufgabe in diesem gigantischen, von Menschen errichteten, Bauwerk, welches vielleicht schon seit Jahrhunderten beständig gen Himmel wächst.
Nachdem ein neues Stockwerk fertiggestellt ist, wird es von den Pionieren verlassen und ein Instandhalter, wie Giovanni, wird eingesetzt, der allein zurückbleibt und durch seine Arbeit sicherstellt, dass der „Körper“ des Turms erhalten bleibt, während er sich immer weiter in den Himmel streckt.

Giovanni erfüllt diese Aufgabe nun schon seit Jahrzehnten. Es ist Jahre her, dass er einen anderen Menschen gesehen hat und er kennt kein anderes Leben mehr als dieses. Er ist etwas verschroben, führt Selbstgespräche und hofft, dass bald ein Aufseher vorbeikommt, damit er ihm klagen kann. Denn Giovanni ist mit den anderen Instandhaltern (die er teilweise nie, und wenn überhaupt, dann zuletzt vor Jahren, getroffen hat) unzufrieden. Sein Bezirk leidet immer mehr unter dem Zahn der Zeit, und daran muß einfach auch die schlechte Arbeit der anderen Instandhalter schuld sein.

Wir lernen Giovanni kennen, kurz bevor er sich zur Basis aufmacht. Kommt der Aufseher nicht zu ihm, muß er wohl zu ihm gehen. Mit dieser simplen Erkenntnis beginnt eine fantastische und epische Reise, nicht nur zum Gipfel, dem Kern und der Basis des Turms, sondern auch zum Intellekt, zum Herzen und zur Seele Giovannis.

Der Turm ist in der Erzählung ein Sinnbild für das Streben des Menschen sich selbst zu entdecken, zu entfalten, aber auch zu erhöhen. Und er wird auch zum Sinnbild von Giovannis Entwicklung. Dieser dicke, bärtige und gemütliche Mann entdeckt seine eigene Intelligenz, Liebe und sein wahres Wesen, während er erst von Frustration und dann von Neugier getrieben den Turm erforscht. Und mit ihm erforschen wir als Leser so das Potential des Menschen und auch die Gefahren, die damit einhergehen.

Das klingt nun alles furchtbar hochtrabend und nach einer anstrengenden Lektüre, aber oberflächlich betrachtet ist „Der Turm“ vor allem eine faszinierende und spannende Abenteuergeschichte, die mit allerlei Entdeckungen im und über den Turm lockt.
Doch wie es sich für eine wirklich gute Geschichte gehört, bietet sie unter der Schale ein wahres Füllhorn an Anregungen zum Nachdenken.

Und wie es sich für einen guten Comic gehört, wird das epische Szenario Peeters´ (der neben Comic-Szenarien auch Romane, Essays, Sachbücher und Hörspiele verfaßt) von grandiosen Zeichnungen begleitet.

Schuiten bietet nicht nur die faszinierenden architektonischen Glanzleistungen, für die er bekannt ist (und die ihm als Sohn einer Architektenfamilie aus Brüssel praktisch in die Wiege gelegt wurden), sondern versteht es auch die Menschen liebevoll und oftmals dominant in den erdrückenden Giganten von einem Turm einzubringen. Ob kahles, verwittertes Mauerwerk, dschungelartige Vegetation oder von Menschen überlaufene Städte, ob primitives Werkzeug, Teleskope, Bücher oder Laborgeräte, Schuiten ist offensichtlich ein Meister seines Faches und somit wird „Der Turm“ allein auf visueller Ebene schon viele Leser für sich gewinnen können.

Der Turm ist ein Album im besonderen Format. Auf über einhundert Seiten entfaltet sich die Handlung vorrangig in Schwarz-Weiß-Zeichnungen, welche oftmals an den späten Dave Sim erinnern, mit vereinzelten Farbseiten. Das Geheimnis der Farbseiten ist eine Entdeckung für sich, die ich dem geneigten Leser überlasse.

Ebenso wie Giovanni entschlüsselt der Leser Stück für Stück die Rätsel des Turms. Es war eine wundervolle und aufschlussreiche Reise für mich, und ich werde in Zukunft mit Sicherheit noch mehr der „Geheimnisvollen Städte“ besuchen.

Zu guter Letzt hoffe ich, dass dieser Kommentar den einen oder anderen ebenfalls dazu anregt seinen festgesteckten Bezirk zu verlassen, um mit „Der Turm“ ein neues Stück des großen Mediums Comic für sich zu entdecken.

"Der Turm" ist 1988 erstmals im Feest Verlag erschienen und wird bereits seit längerem nicht mehr nachgedruckt. In gut sortierten Comic-Läden oder über private Wege sollte er allerdings noch relativ leicht zu erstehen sein.

Seppstock